Im Affekt: Agenten der Parzelle

Nr. 15 –

Das Gelände der stillgelegten Kehrichtverbrennungsanlage Josefstrasse in Zürich ist eine lokaljournalistische Goldgrube. Zuerst fuhr hier der grösste Abbruchbagger Europas auf, inklusive schaulustiger Baggernerds, teilweise angereist aus dem Ausland, sowie Baggerfahrer René Rölli, der in einem Beitrag auf Tele 1 die Bedienung seines «A-Rex» mit dem Berühren eines Frauenkörpers verglich. Kurze Zeit später verschob sich die Aufmerksamkeit auf den Kamin, an dem eine Gruppe von Sprayern in einer Herbstnacht ein Graffito aus zwölf riesigen Buchstaben angebracht hatte. Beide Attraktionen boten zudem eine tolle Möglichkeit, wieder mal die Redaktionsdrohne zu starten und spektakuläre Luftaufnahmen zu schiessen.

Neue Drohnenbilder des Kamins gabs kürzlich im «Tages-Anzeiger», dazu ein Porträt eines der tapferen Industriekletterer, die das Graffito entfernten. Der Mann ist schweigsam, wie es schon im ersten Satz heisst, und so erfährt man auch nicht viel mehr über ihn, als dass er Menschenmengen meidet und ihm die Höhe behagt. Aber was hier in lokaljournalistischer Unschuld daherkommt, ist in Wahrheit Propaganda im Dienst einer Stadtverwaltung, die alles begradigt, was sich über seine zugewiesene Parzelle hinauswagt.

Die Heroisierung der Reinigungskräfte ist keine x-beliebige Geschichte, um den Platz zwischen den Anzeigen zu füllen, es ist eine perfide Verdrehung der Tatsachen. Schon die mit 20 000 Franken bezifferten Kosten scheinen seltsam tief für die angeblich teure Putzaktion. Dazu werden die mit Stahlseilen, Sitzvorrichtungen und Sandstrahlmaschine bewaffneten Arbeiter zu Rettern in der Not stilisiert – in Wahrheit sind sie Agenten einer repressiven Ordnungspolitik.

Nur ums noch mal klarzustellen: Die wahren Helden sind hier die Sprayer, die wieder mal ihre beeindruckende Logistik spielen liessen und so klug waren, das Graffito so spät im Jahr anzubringen, dass es wegen der tiefen Temperaturen vier Monate lang nicht entfernt werden konnte.

Und erwischt werden die Sprayer wohl auch diesmal nicht.