Im Affekt: Bis Deutschland untergeht

Nr. 22 –

Einfach mal eine riesige Kanone zwischen die Beine klemmen und ein Stadion voller Menschen mit weissen Konfetti beschiessen. Eine Insektenplage aus einem brennenden Kinderwagen aufsteigen lassen. Sich als Kannibale verkleiden und den Keyboarder mit einem Flammenwerfer sieden. Zwei Stunden lang traurige Märsche dreschen und dazu Bubenwitze reissen – wird Rammstein nie langweilig?

Die banale Antwort lautet: Mit deutschem Schlager so viel Geld verdienen, zumal dank Millionen von Leuten weltweit, die davon nicht viel mehr als «Deutschland!» oder «Pussy!» verstehen, das wird dieser Band kaum mehr jemand nachmachen. Und es ist schwer zu übersehen, wie das zieht, zum Beispiel unter den 47 000, die am Montagabend ins Zürcher Letzigrundstadion geströmt sind. Eine eigentliche Stadionshowmaschine aus blankem Stahl haben sie hier aufgetürmt, perfekt getaktet bis in jede Konfettifontäne, jede Scheinwerferfanfare, jede pyrotechnische Eruption. Dazu stampft die Musik im bombastischen Gleichschritt, und Oberfeuerwerker Till Lindemann wirft die Kommandos ins selige Oval: «Zick Zack!» «Du hast!» «Ich will!»

Die Fallhöhe ist riesig. Zwischen der inszenierten Enthemmung und den rigiden Einlassregeln, die die Bandfirma angeordnet hat («Stoffsack in die Tonne!»). Zwischen Erhabenheitsstreben und der Schmuddelromantik von Lindemanns Poesie. Zwischen teutonischem Pathos und Nazipointen («Deutschland, Deutschland über alles … äh allen»). Eigentlich wäre es zum Lachen, aber dafür ist es dann doch zu laut und zu hell und zu heiss hier.

Einer könnte einem fast leidtun dabei: Christian «Flake» Lorenz, der den Songs mit seinem verspielten Keyboard nicht selten etwas Raffinesse gibt und der Show mit seinem ungelenken Gehampel im goldenen Glitzeranzug zumindest eine Ahnung von Groteske. Aber die säuft ab im Stadionrock, der viel braver ist, als er tut – und Rammstein werden weitermachen, bis ihnen der fossile Treibstoff ausgeht oder es Deutschland nicht mehr gibt.

Nun aber doch noch ein Witz: Wie viel passt unter eine Gürtellinie? – Ein Stadion voller Rammstein-Fans.