Klimakatastrophe in Italien: Äcker und Flussbette wie Mondlandschaften
Norditalien erlebt die schlimmste Dürre seit siebzig Jahren – und solche «Ausnahme»-Jahre drohen zur Regel zu werden.
Es war ein Fest für die Archäolog:innen. Auf einen so niedrigen Wasserstand ist der Oglio infolge der in Norditalien herrschenden Dürre gefallen, dass uralte Reste von hölzernen Pfahlbauten aus der Bronzezeit freigelegt wurden. Der Fund reiht sich in eine täglich länger werdende Liste ein, von fossilen Tierresten bis zu versenkten Lastkähnen aus dem Zweiten Weltkrieg, die im Po und seinen Nebenflüssen aufgrund des extremen Niedrigwassers zum Vorschein kommen.
Doch richtig Freude will in Italien über diese Entdeckungen nicht aufkommen. Allzu bewusst ist den Menschen, dass sie gerade ein Drama mit womöglich existenziellen Auswirkungen erleben. Auf seinen 652 Kilometern vom Piemont im Westen bis zum Mündungsdelta an der Adria im Osten ist der eigentlich mächtige Strom – der grösste Fluss des Landes – zum Schatten seiner selbst geworden, zu einem Rinnsal, dessen Wasserstand an einigen Stellen bei sieben Metern unter dem normalen Pegel liegt.
Dort, wo eigentlich das Wasser fliessen sollte, erstrecken sich weite Sandbänke. In Sermide zum Beispiel, in der Provinz Mantua, wird in den nächsten Wochen keines der am langen Steg vertäuten Motorboote auslaufen; sie liegen fast auf dem Trockenen, umgeben von einem Meer aus Sand. Schlimmer denn je in den vergangenen siebzig Jahren sei die Situation am Po und an seinen Zuflüssen, erklären die Expert:innen.
Vierzig Grad im Juni
Begonnen hat das aktuelle Dürredrama damit, dass ab Februar im Norden Italiens der Regen so gut wie ausgeblieben ist; im Piemont etwa fielen seit Anfang des Jahres nur 90 Millimeter Niederschlag statt der im langjährigen Mittel erreichten 270 Millimeter. Schon im Winter war in den Alpen aussergewöhnlich wenig Schnee gefallen – womit dann vom Frühjahr an deutlich weniger Schmelzwasser als üblich talwärts floss. Zugleich erlebt Italien bereits seit Mai eine Hitzewelle; es folgt ein afrikanisches Hochdruckgebiet auf das andere, was schon Ende Juni die Temperaturen auf bis zu vierzig Grad hochtrieb – auch das ein neuer meteorologischer Rekord.
Tag für Tag laufen seit Wochen die immer gleichen Bilder vom ausgetrockneten Po in den Fernsehnachrichten; und mit einem Mal ist dem ganzen Land klar geworden, dass es mitten im Klimawandel steckt. Und auch wenn immer wieder von der schlimmsten Dürre seit siebzig Jahren die Rede ist, lässt keine:r der in den Medien zu Wort kommenden Expert:innen einen Zweifel daran, dass die verheerenden Entwicklungen dieses «Ausnahme»-Jahres zur neuen Regel zu werden drohen.
Der Salzkeil drängt flussaufwärts
Verheerend sind die Folgen vorneweg auf den Feldern der Poebene, die ein Drittel der Agrarproduktion Italiens liefert. Der Sommer hat gerade erst begonnen, doch die Böden bieten ein erbärmliches Bild. Von der Hitze aufgerissene Schollen erinnern eher an Mondlandschaften als an Äcker; einst saftige Böden sind zu staubigem Sand geworden, auf dem die Pflanzen verkümmern. Statt ihre Kulturen intensiver berieseln zu können, müssen die Landwirt:innen mit kleineren Rationen auskommen: An vielen Stellen ist das Wasser schlicht ausgegangen.
Besonders dramatisch ist die Situation im Mündungsbereich des Po. Da der Strom so wenig Wasser führt, drängt Salzwasser von der Adria immer weiter stromaufwärts. Schon dreissig Kilometer ins Landesinnere reicht mittlerweile der «cuneo salino», der Salzkeil. Auf diesen dreissig Kilometern muss die Bewässerung der Felder eingestellt werden. Schlimmer noch: Auch das Grundwasser versalzt dort und macht die Böden unfruchtbar. Egal ob Mais, Reis oder Getreide: Für dieses Jahr wird in der Poebene ein Ernteeinbruch von um die dreissig bis fünfzig Prozent befürchtet.
Viele Gemeinden suchen jetzt mit Notstandsmassnahmen gegenzusteuern. Zuletzt erliessen die Städte Verona und Pisa Verordnungen, die bei Androhung saftiger Geldbussen die Nutzung des Wassers nur noch für häusliche Zwecke in Bad und Küche erlauben, aber die Befüllung des Pools im Garten, die Autowäsche oder das Abspritzen der Garageneinfahrt untersagen. Und die Regierung in Rom rief am Montag für fünf Nordregionen vom Piemont über die Lombardei und die Emilia-Romagna bis zum Veneto und Friaul-Julisch Venetien den Wassernotstand aus. Ein Sonderkommissar soll jetzt berufen werden, ausserdem wurden 36,5 Millionen Euro für erste Kriseninterventionen bereitgestellt.
Doch im zweiten Schritt will die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi drei bis vier Milliarden Euro in die Hand nehmen. Quer durchs Land sollen zahlreiche kleine Reservoirs angelegt werden, soll vor allem das marode Leitungsnetz saniert werden. Bisher versickern gut vierzig Prozent des Wassers in lecken Leitungen – ein Luxus, den Italien sich nicht mehr leisten kann.