Frühgeschichte: Gescheitert – oder befreit?
Oben trugen sie Silberdiademe, unten schufteten die Ausgebeuteten: Die vor 4000 Jahren entstandene El-Argar-Kultur im heutigen Spanien gilt als erster Staat in Westeuropa. Wie funktionierte die brutale Klassengesellschaft? Und warum verschwand sie?

Was hat Menschen dazu getrieben, hier zu leben? Immer wieder fragt man sich das auf dem Weg zur Grabungsstätte auf dem Hügel La Bastida. Man ist isoliert hier, in der Nähe des Städtchens Totana in der Region Murcia im Südosten Spaniens: La Bastida wird durch die umliegenden Hügelzüge vom Haupttal abgeschirmt. Der katalanische Archäologe Viçente Lull schrieb in einer Monografie von einer «verborgenen Stadt», die man hier ausgrabe.
Auf dem staubigen Hügel von La Bastida hatten in der Bronzezeit einst Menschen gelebt – 650 Jahre lang, von etwa 2200 bis 1550 vor unserer Zeit. Vorher und nachher aber nicht. Als sich hier die ersten Archäolog:innen durch die Erdschichten arbeiteten, fanden sie über und unter der Schicht der El-Argar-Kultur keine Spuren von Besiedlung – ein Glücksfall, weil keine Verwechslungsgefahr besteht, und eine Rarität in der europäischen Archäologie.
Gründe, hier nicht zu leben, gibt es viele: Wasser ist knapp, so knapp wie nirgendwo sonst auf der Iberischen Halbinsel. Die Betische Kordillere schirmt die Gegend vor den feuchten atlantischen Westwinden ab. Wenn es aber einmal regnet, dann oft in Sturzbächen, die die sonst trockenen Flussbetten in reissende Ströme verwandeln. Bis heute ist es eine der trockensten Regionen Europas. Um im Guadalentin, einem der wildesten Flüsse Spaniens, Wasser zu holen, mussten Bewohner:innen von La Bastida sechs Kilometer gehen – drei hin und drei zurück, am Schluss steil aufwärts. Trotzdem stand hier ein Netzwerk aus Stein- und Lehmhäusern, dicht an dicht, einer arabischen Kasbah gleich, das die ganze Hügelflanke überzog.
Eine Mittelklasse entsteht
Als 2012 in La Bastida eine sechs Meter hohe und mehrere Hundert Meter lange Stadtmauer freigelegt wurde, schrieb die spanische Zeitung «El País» vom «Troja von Murcia». Solch massive, enorm aufwendige Bauwerke hatte man im westlichen Mittelmeerraum schlicht nicht erwartet. Professor Roberto Risch von der Autonomen Universität Barcelona geht denn auch von einer Verbindung zum östlichen Mittelmeer aus: «Die zentrale Rolle von Silber, die riesigen Vorratsgefässe für die zentrale Lagerung von Tonnen von Korn, die Bestattungen unter den Siedlungen – das alles kennen wir sonst vom östlichen Mittelmeer.» Mittlerweile belegen auch genetische Studien einen Kontakt zu den oft als «Wiege der Zivilisation» bezeichneten Landstrichen im Osten.
Komplexe Herrschafts- und Wirtschaftssysteme waren, so die gängige Erklärung, aus der Notwendigkeit des Fernhandels erwachsen. Wollte man Bronze herstellen, brauchte man Zinn. Anders als das ebenfalls benötigte Kupfer findet man das seltene Metall nur in wenigen Regionen der Erde. «Die Verbindungen über weite Strecken sehen wir aber auch an Bernstein aus dem Baltikum und nordafrikanischem Elfenbein in El-Argar-Gräbern», sagt Risch. Und La Bastida war nur eines von zahlreichen Zentren der Kultur. Auf einer Fläche grösser als Belgien bestand hier ein Netzwerk von Hügelsiedlungen im Abstand von zwanzig bis dreissig Kilometern, die ihr Umland kontrollierten – eine der am dichtesten besiedelten urbanen Regionen jener Zeit in Westeuropa.

Einer der Menschen, die dort wohnten, ein Kind, wurde vor fast vier Jahrtausenden unter einem Haus in La Bastida bestattet. So war es Sitte in El Argar mit manchen – aber nicht allen – Toten. Das Grab, dem die Forscher:innen die Nummer 47 gaben, zeigt: Nicht einmal im Tod konnten die Menschen dem Herrschaftssystem von El Argar entkommen.
An den streng standardisierten Grabbeigaben lässt sich ablesen, welchen Status eine Person im Leben hatte. «Wenn wir schätzen, wie viele Menschen in diesen Siedlungen gelebt haben müssen, müssten wir eigentlich zehnmal so viele Gräber finden», so Risch. «Bei denen, die wir finden, haben wir dafür eine komplette Demografie: reiche Gräber, mittlere Gräber, arme Gräber; Gräber mit Männern, Frauen, Kindern und Kleinkindern.»
Als die Bäuer:innen aus den nahen Talschaften hier im Kerngebiet der El-Argar-Kultur den Hügel besiedelten, bauten sie als Erstes die massive Stadtmauer. In den Gräbern höherstehender Männer finden sich charakteristische Stabdolche. Als Werkzeug sind sie untauglich – sie weisen darauf hin, dass zu jener Zeit wohl eine Kriegerkaste entstand. Frauen wurden mit Silberschmuck und kupfernen Ahlen begraben. In den restlichen Gräbern liegen Angehörige einer ausgebeuteten und mangelernährten, womöglich versklavten Unterklasse.
Nach 300 Jahren teilt sich die Oberschicht. Die Stabdolche verschwinden, und bei einem Zehntel der Elitemännergräber tauchen Kurzschwerter aus Bronze auf. Bei den Frauen der Elite wird der Silberschmuck reicher, bis hin zu prächtigen Silberdiademen. Die neue Mittelklasse, etwa die Hälfte der Bevölkerung, bekam Silber, Metallwerkzeug, Keramik und Äxte ins Grab – immer in streng festgelegter, der Klassenzugehörigkeit der Verstorbenen entsprechender Ausstattung. Bei den Subalternen lagen höchstens kleinste Silberspiralen und bescheidene Keramik. Oder, wie im Fall des Kindes in Grab 47: nichts. Kein Topf mit Essen für die Nachwelt, kein Silber, kein Werkzeug. Nicht einmal das Gefäss, in dem das Kind seine letzte Ruhe fand, war ganz. Nach einem zu kurzen und entbehrungsreichen Leben legte man den kleinen Menschen in einen kaputten Topf, deckte Bruchstellen dürftig mit Scherben ab und vergrub ihn unter der Siedlung.
In den ersten Jahrhunderten von El Argar wurden dort noch gar keine Kinder bestattet. Starben einfach zu viele von ihnen, und war der begrenzte Raum unter den Häusern zu knapp? Die Kindersterblichkeit war enorm: Die Hälfte aller Kinder erlebten den ersten Geburtstag nicht. Wer das Pech hatte, zu den Ausgebeuteten zu gehören, bekam vor allem zur Blütezeit der Kultur fast ausschliesslich Gerste zu essen. Bei dem durch Mangelernährung und schwerste Arbeit geschwächten Immunsystem dürfte eine Ansteckung mit den massenhaft grassierenden Magen-Darm-Erkrankungen für viele das Todesurteil gewesen sein. Auch wer die Kindheit überstand, starb meist vor dem 40. Lebensjahr. Was geschah mit den nicht bestatteten Toten? Wurden sie von Geiern gefressen, die in der Region einst häufig waren und auch heute wieder brüten?
Immer die gleichen Töpfe
Bemerkenswert sind auch die ausgegrabenen Werkstätten. In einer fand man sechzehn Mahlsteine aus vulkanischem Gestein, das man von einem mehr als dreissig Kilometer entfernten Ort herbeigeschafft hatte. An einem Tag konnte man in einer solchen Werkstatt genug Korn mahlen, um siebzig Personen zu ernähren. Und in La Bastida wurden insgesamt 1300 solcher Steine gefunden, sie sind das häufigste Fundstück. Ohne Arbeitsteilung wäre auch die Arbeitskraft für zentrale Töpferstätten, spezialisierte Metallverarbeitung und Ackerbau nicht verfügbar gewesen. In den Werkstätten fand man auch Dutzende in Form und Volumen praktisch identische Keramikschalen. Wenig fasziniert an El Argar so sehr wie die Perfektion der Keramik: Mehrere Hundert Jahre lang gab es auf einem Gebiet fast so gross wie die Schweiz ausschliesslich acht extrem standardisierte Formen – ohne jede Verzierung, ohne Malerei.
Wie umfassend muss die Kontrolle der Elite über die Arbeit der Bevölkerung gewesen sein, um den kreativen Ausdruck von Generationen derart zu kontrollieren? Für Roberto Risch steckt System dahinter: «Da sehen wir eindeutig ein ideologisches Element. Die Keramik wurde ja nicht nur zur Lagerung, sondern auch zum Kochen und zum Essen verwendet. Wir haben hier ein normiertes Konsumsystem vor uns.» El Argar war also ein System, das gleichzeitig Arbeit ausbeutete und die Arbeiter:innen ernährte, ihnen Keramikbecher zuteilte, die zum Bezug von Gerstenrationen in den zentralen Lagern berechtigten. Ein System von Mauern, die ebenso vor «Barbaren» von den Rändern der geordneten Welt schützten, wie sie die Ausgebeuteten drinnen hielten. Wenn Generationen so leben, tagein, tagaus Wasser schleppen, kniend Korn mahlen oder die immer gleiche Keramik produzieren, geht das akkumulierte Wissen, wie man vor dem Stadttor überlebt, verloren. Selbst wenn Flucht möglich ist – bedeutet sie nicht das Verderben?
Die Normierung der Gefässe hat noch weitere Implikationen. Wenn alle Schalen dasselbe Volumen haben, werden sie zur Einheit. Auf einmal besteht ein Begriff, ein Mass dafür, welchen Wert eine Schale Gerste hat. «Das weist stark darauf hin, dass wir es mit einem Rationierungssystem, mit einer Art Lebensmittelbank zu tun haben», sagt Risch. Durch diese Kontrolle der Produktionsüberschüsse konnte die herrschende Klasse Macht in Form lebensnotwendiger Güter in ihren Lagern anhäufen. Die Bäuer:innen aus dem Flachland, den Peripherien, schafften Ressourcen wie Gerste, Ton, Kupfer oder Leinen in die Zentren. Dort wurden die Rohstoffe verarbeitet und wieder verteilt. Wie sich die Hügelherrscher:innen der El-Argar-Kultur auf diese Weise Macht und Arbeitskraft anderer aneigneten, was mit Gerste und Ton, versiegelt in Lagerhäusern, verborgen hinter Mauern auf entlegenen Hügeln, geschah – für die Massen der Vorgeschichte ein Mysterium. Risch fügt an: «Was die Bank heute genau mit unserem Geld macht, wissen wir ja auch nicht.»

In Zentren von El Argar finden wir keine zentralen Plätze für Handel, keine Tempel, keine Schrift. Was wir finden, sind Baumonumente: mächtige Stadtmauern, ein Wasserreservoir, das durch Begrenzung einer Senke mit einer Trockenmauer und Lehm um die 250 000 Liter Wasser fassen konnte. In La Almoloya fand man eine Halle, vermutlich für Versammlungen der Elite: an den Wänden Bänke für über fünfzig Personen, zwei Sitze erhoben über allen anderen. Und darunter ein Doppelgrab: ein Mann – ein Mitglied der Kriegerelite – und eine Frau. Beigegeben der wohl reichste Silberhort der iberischen Vorgeschichte, darunter ein Becher, so versilbert, dass die Hände und die Lippen der Frau nie den «unreinen» Ton berühren mussten, und eines der wunderschönen Silberdiademe. «National Geographic» schrieb von der «Prinzessin von La Almoloya».
Was ist eine «Hochkultur»?
Immer wieder wurden Frauengräber in solchen mit Herrschaft und Wirtschaft assoziierten Stätten gefunden. Frauen spielten bei der Produktion und der Verteilung der Güter wohl eine besondere Rolle. Auch die spiralförmigen Silberringe, die ihnen ins Grab gelegt wurden, folgen einer Norm und könnten auf eine wichtige Rolle von Frauen in Mathematik und wirtschaftlicher Organisation hindeuten: «Wir haben festgestellt, dass wir immer Teile oder Vielfache von 8 Gramm finden. Also 2 Gramm, 4, 8, 16 oder 32», so Risch.
Eine Studie vom März 2025 zeigt, wie weit Arbeitsteilung und Organisation in dieser hochnormierten, standardisierten Gesellschaft gingen. Dafür untersuchte man die Dynamik zwischen verschiedenen Keramiktypen in Grenzregionen. Das Ergebnis: Ausserhalb benutzte man lokalen Ton, Dutzende verschiedene Sorten. Im Verbreitungsgebiet der El-Argar-Kultur hingegen immer denselben, über hundert Kilometer herbeigeschafft. «Das weist für uns eindeutig darauf hin, dass sich die ersten staatlichen Strukturen in Westeuropa um 1800 vor unserer Zeit entwickelten», sagt Risch.
Damit hätte El Argar das erste Staatswesen auf dem europäischen Kontinent hervorgebracht. Trotzdem ist die Kultur ausserhalb von Spanien praktisch unbekannt. Zu quer scheint das Modell in der Landschaft zu stehen, vor allem, da wir dazu neigen, uns die Menschen der Vorgeschichte nach unserem eigenen Abbild vorzustellen. Oder nach dem, von dem wir glauben, dass es am nächsten dran sei: Als die Forschung im 19. Jahrhundert manche Kulturen als «Hochkulturen» oder «Zivilisationen» definierte, schuf man Blaupausen, um menschliche Gesellschaften entweder als «barbarisch» oder «zivilisiert» zu kategorisieren. Pate standen der östliche Mittelmeerraum und Mesopotamien. Die Angehörigen der sumerischen, ägyptischen oder minoischen Kultur bauten monumentale Tempel, schrieben und schufen bildnerische Kunst, also mussten das alle anderen auch, wenn sie als «zivilisiert» gelten wollten.
Für den romantisierenden Orientalismus früher Archäolog:innen taugt El Argar nicht. Es erinnert dafür an Veröffentlichungen der letzten Jahre, wie «Die Mühlen der Zivilisation» des US-amerikanischen Politik- und Agrarwissenschaftlers James Scott (siehe WOZ Nr. 42/19). Nach Scott zogen die frühsten erfolgreichen Staaten die Menschen nicht mit Reichtum und komplexer Organisation magnetisch an, im Gegenteil: Diese Staaten hätten vor allem auf der Kontrolle von Produktion und Bevölkerung basiert. Überspitzt gesagt: Moloche aus Ausbeutung und Abhängigkeit. Das Ziel? Die Aneignung der Arbeitserträge einer Unterschicht. Da die Bevölkerung wegen der katastrophalen Gesundheitslage schrumpfte, musste laut Scott ein solches System immer wieder Menschen aus den Peripherien in die frühen Zentren schaffen, um ihre Arbeitskraft auszubeuten.
Diese Frühstaaten seien besonders anfällig dafür gewesen, die Umstände ihres eigenen Kollapses zu schaffen. Auch das erinnert an El Argar. Um 1550 vor unserer Zeit verschwanden die Marker seiner materiellen Kultur innerhalb eines Jahrzehnts. Da und dort bewohnten die Menschen weiter ihre Hügel, in den meisten Fällen zogen sie aber weg. Die gespenstisch uniforme Keramik und die streng standardisierten Gräber unter den Häusern blieben für Jahrtausende verborgen.
Wie kam der vielleicht erste Staat Westeuropas an sein Ende? Als erstmals in La Bastida gesiedelt wurde, hatten noch Steineichen die Hügel bedeckt. Nach Jahrhunderten ausgedehnter Monokultur mit Gerste, praktisch ohne Bewässerung, sowie Brandrodungen, um neuen fruchtbaren Boden zu gewinnen, hatte El Argar aus seinen Wäldern die von Macchia dominierte Halbwüste gemacht, die man heute noch in Südostspanien findet. Dass man nicht mehr im Wald jagen und sammeln konnte, band die Bevölkerung in den Peripherien an die Hügelfürst:innen und deren Kontrolle über das einzige Grundnahrungsmittel, das blieb: die in den Zentren gelagerte Gerste.
War das System an seinen inneren Widersprüchen zerbrochen? Haben die Subalternen in den Höhensiedlungen schliesslich doch rebelliert? Für Risch weist vieles darauf hin: «Das Verschwinden der Gräberkultur, der Schwerter, der uniformen Keramik, das alles lässt für mich einen Schluss zu: El Argar endete mit einer inneren Revolution.» Spuren, die auf einen gewaltsamen Aufstand, eine Verheerung der Hügelsiedlungen schliessen lassen würden, wurden nicht gefunden. Eine Oberschicht, die Menschen an sich bindet, um deren Arbeitskraft zu kontrollieren, musste aber auch nicht zwingend so brutal enden, wie sie geherrscht hatte: Bricht ihre Kontrolle weg, dann ist der Ausdruck der Umwälzung, dass die Menschen wegziehen. Das hinterlässt in den Erdschichten über die Jahrtausende kaum Spuren.
El Argar widersetzt sich dem Bild einer «gescheiterten Zivilisation», eines Mykene des Westens, das kurz vor seiner «Reife» strauchelte. Es ist keine Geschichte davon, wie die Menschheit einen Versuch wagte, den Fortschritt vorwärtszutreiben, der tragisch scheiterte. Es ist die Geschichte eines Moments, in dem die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen die historische Bühne betrat.
Der Untergang des Systems El Argar dürfte für die meisten, die unter ihm gelebt hatten, keine Katastrophe, sondern eine Befreiung gewesen sein.
Macht war zentralisiert. Dann war sie es nicht mehr.
Und die Menschen verliessen den Hügel, auf dem vor und nach ihnen niemand leben mochte.
Archäologie: Von Steinen und Menschen
«Die Steine sprechen» ist ein beliebtes Bonmot unter Archäolog:innen. Was die Steine sagen, hängt aber stark davon ab, welche Fragen man stellt. Im 19. Jahrhundert sah es die Wissenschaft oft als ihre Aufgabe, nationalistische Mythen durch Grabungen zu belegen, oder sie beschränkte sich auf das Sammeln von Artefakten. Grossartige Gold- und Silberschätze standen im Fokus. Alltagsgegenstände, beispielsweise Mahlsteine, die als sperrige Platzfresser in archäologischen Sammlungen galten, interessierten wenig – die Ausgebeuteten, die hinter solchen Funden standen, noch weniger.
Manche Archäolog:innen wollten aber mehr als Artefakte katalogisieren. Die Frage nach den Menschen hinter den Funden drängte vor allem im 20. Jahrhundert auf die Bühne. Archäolog:innen wie der Marxist Vere Gordon Childe – Begründer der Konzepte der neolithischen wie auch der urbanen Revolution in der Prähistorik – prägten mit ihrer interdisziplinären Herangehensweise die Forschung. Der Blick wurde weiter: Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften, der Soziologie, der Anthropologie und weiterer Wissenschaftszweige schufen ein Zusammenspiel von neuem Wissen. Mit diesem Perspektivenwechsel entstanden auch neue Begriffe. So bezeichnen «materielle Kulturen» den gesamten überlieferten weltlichen Ausdruck einer Gesellschaft: Werkzeug, Keramik, Bauwerke.
Bei El Argar gehören zur materiellen Kultur unter anderem die uniforme, aus demselben Lehm gemachte Keramik in acht immer wiederkehrenden Formen; die für die Region und Zeit hochentwickelte Metallurgie; die für Westeuropa einzigartige Rolle von Silber; die zentralen Hügelsiedlungen mit ihren klassenspezifischen Gräbern – El Argar hat uns ein Guckloch in eine andere Zeit hinterlassen. Und beim Blick in dieses Guckloch sollten wir nicht nur nach Erkenntnissen über Topf B17 und atlantische Stabdolchtypen Ausschau halten, sondern nach den Menschen, die diese Artefakte geschaffen haben.