Im Affekt: Die Sau liegt tot im Lorrainepark

Es war schon beinahe überstanden, das elende Sommertheater. Wochenlang war der Beweis für die lang heraufbeschworene «Woke-Kultur» bejubelt worden: Seht her, es ist wahr, hatte man nicht davor gewarnt? Genüsslich wurden Begriffe wie «Kultur-Apartheid» aus der vorbereiteten Schublade gezogen, der sogenannte Kulturkampf konnte verortet werden: an einem lauen Abend in einer Berner Gartenbeiz.
Liebe Brasserie, bei aller Verbundenheit: Klar, es wäre wünschenswert, in Ruhe über das Konzept der kulturellen Aneignung diskutieren zu können. Und ja, es gab schlaue Beiträge zum Thema; auch wenn sich viele – vorsichtige Vermutung – wohl eher mit dem Getöse in den Kommentarspalten beschäftigten als mit einer pophistorischen Einordnung der «Republik» mit siebzehn Minuten Lesezeit. Aber ebendieses Getöse ist doch sehr vorhersehbar; es läuft ja schon regelmässig etwa in der NZZ.
Seis drum, wie gesagt: überstanden, fertig Sommerloch. Doch gerade als es schien, es seien jetzt wirklich der hinterletzte Experte und der allerälteste Autor zum Thema befragt worden, wird dem Stück ein Akt angehängt: Lauwarm durften wieder nicht spielen, diesmal an der Lorraine-Chilbi in Bern. Der Auftritt wäre eine «zu grosse Kontroverse für ein Quartierfest» gewesen, so einer der Organisator:innen gegenüber dem «SonntagsBlick». Das hätte man sich früher überlegen können, und sowieso: Wie kann jemand nach diesem Sommer allen Ernstes noch glauben, eine Absage würde die Angelegenheit beruhigen?
Und mal abgesehen davon, dass die Sau jetzt weiter durchs Quartier getrieben wird, bis sie vor Erschöpfung tot im Lorrainepark liegt: Das Konzert einer (wahrscheinlich schlecht bezahlten) Band abzubrechen oder kurzfristig aus konfusen Gründen abzusagen, nachdem man sie selber gebucht hat? Das, liebe Kulturveranstalter:innen, ist nicht Cancel Culture, sondern schlechter Stil. Daran sollte man sich erinnern, bevor man sich nächstes Mal im gleichen Zug den Rechten zum Frass vorwirft.
Aber wie ein Kommentarschreiber auf der Website des «SonntagsBlick» hellsichtig meinte: «Das Absurde wird den Leuten verleiden! Weiter so!»