Im Affekt: Trollen bis zur Vertrottelung

Nr. 35 –

«Militante Minderheit will uns bevormunden», warnte der «Blick» in einem grossen Schwerpunkt zum sogenannten «Woke-Wahnsinn». Klingt brandgefährlich. Nur, was ist dieser Alarmismus wert, wenn dann gleich der erste vermeintliche Beleg eine lupenreine Halbwahrheit ist? Ja, der Ravensburger-Verlag hat Winnetou-Bücher aus dem Programm genommen – aber nicht etwa die von Karl May geschriebenen, wie der «Blick» kolportiert, sondern Fanmaterial für Kinder zu ­einem neuen Winnetou-Kinderfilm. Wurde das korrigiert? Beim «Blick» hält man das offenbar nicht für nötig.

Das gleiche Muster beim deutschen Boulevard. «ARD nimmt Winnetou-Filme aus dem Programm» titelte die «Welt», bei der «Bild»-Zeitung hiess das: «Sender zieht Schlussstrich». Wer sich die Mühe macht, nicht nur die Schlagzeilen zu lesen, merkt bald: Halbwahrheiten auch hier. Seit 2020 hat ARD die Senderechte für die Winnetou-Filme nicht erneuert, und bis auf Weiteres wollen sie das dort auch so belassen (wie übrigens auch das Schweizer Fernsehen, schon seit 2018). Aber wieso sollten sie auch, die Filme laufen ja beim ZDF. Da will man den öffentlich-rechtlichen Sendern immer den Geldhahn zudrehen – aber wenn sie nicht doppelt und dreifach für Filme zahlen, die schon die Konkurrenz eingekauft hat, heisst es: Cancel Culture!

Es war also wieder mal einiges an fiktionaler Verdrehung nötig, um diese sogenannte Kontroverse zu konstruieren. Auch abseits des Boulevards: «Die Winnetou-Bücher sind Fantasy-Romane», erklärte der Literaturkritiker Ijoma Mangold im «Deutschlandfunk». Fantasy? Das müsste er eigentlich besser wissen. Wenn schon Fantasy, gilt das eher für die Debatte selber, da ist alles dabei: Trolle, Schlachten, Cosplay.

Und spätestens am siebten Tag, so stellte der «Perlentaucher» fest, war diese Phantomdebatte vollends «in den ­Niederungen der Vertrottelung» angekommen. Man kann nur hoffen, dass sie von dort nicht so schnell hinausfindet. Sonst geht das bald wieder von vorne los.

Eine Kontroverse, die von Anfang an hochgestapelt war: Passt eigentlich prima zum Hochstapler Karl May.