Im Affekt: Im Banne des Vorgestrigen

Nr. 38 –

Ist das noch Journalismus oder schon Hofberichterstattung? Der Leiter der International-Redaktion der NZZ kommt in seiner Samstagspredigt auf Seite eins zu einem aus liberaler Perspektive erstaunlichen Schluss: Die Monarchie sei «Ausdruck von felsenfester Stabilität und Kontinuität» und die Königin Elizabeth II. habe «ihr Leben lang dem Land gedient». Die Pressestelle des Buckingham Palace hätte es nicht schöner sagen können. Die NZZ sieht das Steuergeld verschlingende Gottesgnadentum als festen «Anker» für die sich «verlassen» und «verunsichert» fühlenden Brit:innen.

Am Montag begleiteten dann auch deutschsprachige öffentlich-rechtliche Sender in stundenlanger Livebestürzung die Königin in die Gruft. Bei der britischen BBC kann man sowieso nur noch von Selbstaufgabe sprechen. Seit dem Ableben der Queen, so scheint es, ist beim Sender ein vom Palast diktiertes Protokoll aus den fünfziger Jahren aktiviert worden. Hat man Angst, verhaftet zu werden wie die Monarchiekritiker:innen in Londons Strassen, wenn auch bloss ein kritisches Wort fiele?

Plötzlich feiern fast alle nur noch das Bild der Queen als herziger alter Dame. Um das besser zu verstehen, kann man bei uebermedien.de lesen, wie Samira El Ouassil schlau drei Erscheinungsformen der Königin auseinanderdröselt: das coole Grosi aus dem James-Bond-Sketch, dem nun alle nachtrauern; die eiskalte Geschäftsführerin der milliardenschweren «Firma» Königshaus; und die «Commonwealth»-Herrscherin, die sich nie für die koloniale Mordgeschichte entschuldigt hat.

Die beiden letzteren kann man in den ersten beiden Staffeln der Netflix-Serie «The Crown» kennenlernen. Diese Schilderung der ersten Amtsjahre der Queen zeigt etwa die Verstrickung des Königshauses mit den Nazis – und offenbart, wie gnadenlos un- und eingebildet dieser heute so gelobte royale Anker ist. Wo sind wir denn da gelandet, wenn Netflix besseren Journalismus liefert als die BBC?

Am Dienstag erteilte die NZZ sich und allen anderen Palastmedien gleich noch die Absolution: Man habe geliefert, «was ihre Nutzer mehrheitlich erwarteten».