Saferphone-Initiative: Das Schwurbler:innen-Dilemma
Die Grünen unterstützen eine Initiative zum Schutz vor Mobilfunkstrahlung. Fördern sie damit verschwörungstheoretische Kreise? Das Komitee reagiert auf die Kritik.
Letzte Woche wurde sie lanciert: die Initiative «Schutz vor Mobilfunkstrahlung», kurz Saferphone-Initiative. Ihr Anliegen lässt sich knapp zusammenfassen: Glasfaser first. Bund und Kantone sollen emissionsarme Techniken und kurze Funkwege bevorzugen; die Versorgung mit Fernmeldediensten erfolgt «grundsätzlich über das Kabelnetz». Die Initiative kommt aus dem Umfeld des mobilfunkkritischen Vereins Frequencia, aber auch die SP-Nationalrätinnen Martina Munz und Ursula Schneider Schüttel sowie die grünen Nationalrät:innen Isabelle Pasquier-Eichenberger und Michael Töngi sind im Initiativkomitee. Die Grünen unterstützen als einzige Partei die Vorlage.
Ein unbestrittenes Anliegen
«Es gibt einen starken Druck auf die Mobilfunkstrahlungsgrenzwerte», erklärt Töngi seine Motivation. Seit er in der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sitze, merke er das noch mehr: «Dauernd kommen Briefe oder Geschäfte, die die Grenzwerte erhöhen oder aufweichen wollen.» Die Initiative orientiere sich am anerkannten Vorsorgeprinzip: die Belastung tief halten, auch wenn die Schädlichkeit von Mobilfunkstrahlung nicht abschliessend geklärt ist. «Das ist weit weg von Verschwörungstheorien.» Es sei auch keine Initiative gegen den umstrittenen Mobilfunkstandard 5G: «Zur Senkung der Strahlenbelastung kann 5G zum Teil sinnvoll sein, weil mit der gleichen Energiemenge mehr Daten übertragen werden.» Vor allem aber lasse sich die Strahlung stark reduzieren, wenn das Streaming in Innenräumen nicht über Mobilfunkantennen laufe, sondern über WLAN-Router, zusammen mit guten Glasfaseranschlüssen.
Nicht der Initiativtext sei das Problem, sondern die Kreise dahinter.
Töngi ist Mitautor des Initiativtexts. Die Grünen seien immer wieder angefragt worden, ob sie mobilfunkkritische Initiativprojekte unterstützten, sagt er. «Sie waren aber alle chancenlos oder nicht umsetzbar. Ich fand: Machen wir doch ein Projekt, das funktioniert.» Die Initiative orientiere sich stark an einem Faktenpapier seiner Fraktion von 2020, das unbestritten gewesen sei.
Trotzdem gehen jetzt die Wogen hoch. Grüne Regionalpolitiker:innen äussern sich gegen die Initiative, etwa die Berner Kantonsparlamentarierin Rahel Ruch, Kopräsidentin des Grünen Bündnisses Bern (GB), das sich von der Initiative distanziert hat. «Der Initiativtext ist nicht das Problem», sagt Ruch. «Er stand nicht im Zentrum unserer Diskussion.» Das GB kritisiere vor allem die Kreise dahinter. «Wollen wir wirklich mit Leuten zusammenarbeiten, die Verschwörungstheorien und Antisemitismus verbreiten?»
Ruch bezieht sich auf Texte der Saferphone-Initiative, die inzwischen von deren Website gelöscht wurden. «Sie setzen sich nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander, sondern insinuieren ein Komplott von Telekommunikationskonzernen und Behörden, die die Verbreitung von Informationen unterdrückten. Das ist ein klassisches Element von Verschwörungstheorien.» Empörung löst eine Rede aus, die Olivier Pahud, nach eigenen Angaben Bauunternehmer, an einer Anti-5G-Kundgebung 2019 in Bern hielt. Darin sagte er: «Jesus hatte zwölf Apostel, wir haben sieben Judas, die uns für ein paar Silbermünzen gekreuzigt haben. Ihr Kuss ist kollegial, und das Volk, als Zeichen der Zeit, wurde nach einem sehr transparenten Verfahren an den Meistbietenden verkauft.» Pahud sitzt nicht im Initiativkomitee von Saferphone, ist aber als Unterstützer aufgeführt. Mit der Rede konfrontiert, sagt Michael Töngi: «Ich distanziere mich klar von jeglichen Äusserungen, die unsere Behörden in einer solchen Art diskreditieren.» Das Initiativkomitee hat auf die Kritik reagiert und am Dienstag bekannt gegeben, dass es die Trägerorganisation neu aufbaue, «damit wieder der Inhalt der Initiative im Vordergrund steht».
Technikkritik oder Weltverschwörung?
Dass sich Technikkritik und Verschwörungstheorien überschneiden, ist nichts Neues. Besonders oft geschieht dies bei unsichtbaren, potenziell unheimlichen technischen Anwendungen: Gentechnik, radioaktive Strahlung oder Mobilfunk. Auch in der Anti-AKW- und der Anti-Gentech-Bewegung waren immer Leute aktiv, die man heute als «Schwurbler:innen» bezeichnen würde. Doch sie blieben am Rand, weil gut informierte Aktivist:innen mit fundierten Argumenten im Zentrum der Bewegungen standen. Beim Thema Mobilfunk droht diese fragile Balance zu kippen.
Ein fast unlösbares Dilemma: Dem mobilfunkkritischen Milieu gelingt es nicht, sich von seinen problematischen Vertreter:innen zu trennen. Als Folge distanzieren sich Linke – völlig zu Recht – von inakzeptablen Äusserungen wie jenen von Olivier Pahud. Je mehr Linke das Thema jedoch den Schwurbler:innen überlassen, desto mehr wird es tatsächlich zum Thema der Schwurbler:innen. Und viele Linke ziehen nicht nur diese Leute, sondern gleich alle Bedenken bezüglich Mobilfunkstrahlung ins Lächerliche, obwohl deren Unschädlichkeit keineswegs bewiesen ist. Was die Mobilfunkindustrie freut.
«Wir beobachten die Zunahme von nichtionisierender Strahlung seit Jahren mit Sorge», sagt Martin Forter, Geschäftsleiter der Ärzt:innen für Umweltschutz (AefU). «Was ihre gesundheitlichen Auswirkungen betrifft, können wir keine Entwarnung geben.»