Leser:innenbriefe

Nr. 40 –

Viel mehr Missstände

«Massentierhaltungsinitiative: Ein fantasieloses Nein», WOZ Nr. 39/22

Wahrscheinlich war gar nicht die im Bericht erwähnte Angst vor Preissteigerungen der Hauptgrund für die Ablehnung der Massentierhaltungsinitiative, sondern eher die erfolgreiche Taktik der Tierprodukteindustrie, die wahren Belastungen für die Tiere möglichst zu verbergen. Die vielen bekannt gewordenen heimlich aufgenommenen Aufnahmen beweisen, dass viel mehr Missstände auftreten als befürchtet. Es ist zu hoffen, dass die wahren Verhältnisse immer bekannter werden und zukünftige ähnliche Initiativen dadurch endlich Erfolg haben. Die leidenden unschuldigen Tiere hätten eine Besserung schon längst verdient.

Renato Werndli, Eichberg

In den Eimer

«Russland: Schon in der Schule werden sie auf Krieg gedrillt», WOZ Nr. 37/22

Schon vor der Schule werden sie auf Screen und Konsum gedrillt. Des Putin Keulen-Indoktrinierung drüben findet sein Gegenstück hüben in Migrosoft, Fatzkebook, Goockel, Applewurm, Amazombie, Überflüssig, nicht? XXXLutz, BMW, Ikea, Coop, Carrefour, Walmart, Sainsbury’s und Konsorten, Konsum- und Sozialkrieg. Den Rohstoffsupport dahinter als Um-Weltkrieg im Globalen Süden liefern Vitol, Glencore, Dreyfuss, Syngenta, Bayer etc.

Damit möchte ich Putins Systemik keineswegs relativieren – beides in den Eimer!

Paul Dorn, Zürich

Es gibt nur eine Psychotherapie

Über das psychotherapeutische System

Seit dem 1. Juli gilt das Anordnungsmodell als Eintrittskarte für die eigenständige Durchführung psychologischer Psychotherapie im Rahmen der Grundversicherung. So weit, so gut, aber wie schon Gregory Bateson, einer der Väter systemischen Denkens und Handelns, schrieb: «The map is not the territory.» Darüber, über das Territorium «medizinisches System», wird unter dem Einfluss eines zäh errungenen Erfolgs auch in den eigenen Reihen nur ungern diskutiert. Bedenken die zunehmende Pathologisierung und Medikalisierung betreffend werden mit Verweis auf die Vorteile für die Patienten weggeredet, Ambivalenzen, Dissonanzen und Zweifel ausgeblendet. Klar geregelt ist, dass es de jure nur noch eine (medizinische) Psychotherapie gibt, nämlich die ärztliche beziehungsweise die ärztlich angeordnete im Rahmen der Grundversicherung.

Dass wir das Rad nicht zurückdrehen, die Tür regelfrei für jedes und jeden öffnen sollen und wollen, ist selbstredend. Kaum ein Wort aber darüber, dass in der Realität die lineare Entweder-oder-Abgrenzung «gesund/krank» keine einfache ist, das medizinische Modell von Psychotherapie nicht das einzige ist und in erster Linie nicht eine Krankheit, sondern stets ein Mensch in seinem Kontext behandelt wird …

Gesundheitspolitisch brisant ist zudem, dass über kurz oder lang das Angebot Psychotherapie im Rahmen von Zusatzversicherungen aufgehoben wird. Dadurch aber wird nicht nur die Grundversicherung weiter belastet, sondern diejenigen Stimmen werden wieder wach, die sich schon bald für eine Kontingentierung psychotherapeutischer Leistungen starkmachen werden. Der für 2023 prognostizierte Prämienschub (7 Prozent) priorisiert des Weiteren die Wahl für eine hohe Franchise und damit die Bezahlung der Psychotherapie aus der eigenen Tasche. Über viele Jahre erfolgreich durchgeführte Psychotherapien, vor allem aber psychisch leidende Menschen und mit ihnen zahlreiche bestqualifizierte Psychotherapeut:innen werden so in die Grundversicherung gezwungen. Dies ist mehr als eine Kröte, die einfach geschluckt werden muss. Es bedeutet Verlust an Diversität und Qualität und öffnet zudem Anbietern aller Art die Tür auf dem Psychomarkt, jenseits von Qualitätssicherung.

Vor fünfzig Jahren hat der 1937 geborene linke Arzt und Psychiater Berthold Rothschild an der Universität Bern einen legendären Vortrag gehalten: «Die W(w)a(h)re Psychotherapie». Was Rothschild heute sagen würde, weiss ich nicht. Klar aber ist, dass auch die Behandlung von psychischem Leiden in hohem Masse von dem und denen mitgeprägt wird, die im Gesundheitssystem das Sagen haben.

Martin Rufer, Bern, MSc Psychologie und eidg. akkreditierter Psychotherapeut, per E-Mail