Die Schweiz im Uno-Sicherheitsrat: Das tun, was möglich ist

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Die Schweiz wird sich ihrer Verantwortung nicht entziehen können, wenn sie jetzt während zweier Jahre im höchsten Uno-Gremium Einsitz nimmt. Es sind pragmatische Schritte gefragt.


Wie verträgt sich der von der Schweiz reklamierte Grundsatz der «dauernden Neutralität» mit der Übernahme besonderer internationaler Verantwortung? Diese Frage wird die Schweizer Politik in den kommenden 24 Monaten wahrscheinlich intensiver und häufiger beschäftigen als je zuvor, zumindest seit dem Uno-Beitritt im Jahr 2002. Am 1. Januar ist die Schweiz in den Uno-Sicherheitsrat eingezogen, gewählt von einer Mehrheit der 193 Uno-Mitgliedstaaten. Dort ist sie nun eines von zehn nichtständigen Mitgliedern neben den «P5»: den permanenten und vetoberechtigten Ratsmächten USA, China, Russland, Frankreich und Grossbritannien.

Gemäss der Uno-Gründungscharta von 1945 ist der Rat primär für «die Bewahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit» zuständig. Und neben dem für zwischenstaatliche Streitfragen zuständigen Internationalen Gerichtshof kann der Sicherheitsrat als einzige Uno-Institution Entscheidungen treffen, die für alle Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindlich sind. Zur Durchsetzung dieser Beschlüsse kann der Rat notfalls auch politische, wirtschaftliche oder gar militärische Zwangsmassnahmen verhängen. So werden die aus Bern an den Hauptsitz in New York entsandten Diplomat:innen mitberaten und mitentscheiden müssen, ob und wie sich das höchste Uno-Gremium zu den aktuellen heissen Kriegen verhält, zu drohenden bewaffneten Konflikten, zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, zu Verstössen gegen völkerrechtlich verbindliche Resolutionen. Etwa lediglich mit einer Verurteilungsresolution? Oder mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, mit strafrechtlichen Ermittlungen – oder gar mit der Entsendung von Blauhelmtruppen?

Kooperation und Zerwürfnis

Ukraine, Iran, Mali, Nordkorea, Israel/Palästina: Das sind nur einige der Konfliktorte, die bis zum Ende der Schweizer Mitgliedschaft am 31. Dezember 2024 auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats gelangen dürften. Im schlimmsten Fall kommt noch ein bewaffneter Konflikt zwischen China und Taiwan hinzu. Mit ständigen Enthaltungen unter Berufung auf die eigene «Neutralität» würde die Schweiz der Verantwortung, die ihr die Generalversammlung mit der Entsendung in den Sicherheitsrat übertragen hat, keinesfalls gerecht.

Zugleich ist aber die Aussicht, dass es bei einem der absehbaren Konfliktthemen im Sicherheitsrat zu wirksamen Beschlüssen kommt, die nicht am Veto eines oder mehrerer der P5-Länder scheitern, derzeit äusserst gering. Schon in den vier Jahrzehnten des Kalten Krieges war das Gremium durch den von den USA und der Sowjetunion dominierten globalen Ost-West-Konflikt weitgehend blockiert. In den neunziger Jahren folgte eine kurze Phase des Tauwetters und der gemeinsamen Handlungsfähigkeit, auch innerhalb der P5; davon zeugen etwa die Resolutionen, mit denen der Rat auf den irakischen Einmarsch in Kuwait 1990 reagierte. Der Konsens zerbrach noch im Verlauf des folgenden Jahrzehnts: Es kam zum Streit über eine Aufrechterhaltung der Wirtschaftssanktionen gegen den Irak, unter denen nicht das Regime von Diktator Saddam Hussein litt, sondern die gravierende Folgen für die irakische Zivilbevölkerung hatten.

Ein weiterer Rückschlag war der völkerrechtswidrige Luftkrieg der Nato gegen Serbien im Jahr 1999, der massgeblich von den drei westlichen Ratsmitgliedern USA, Grossbritannien und Frankreich geführt wurde, unter Umgehung des Sicherheitsrats und entgegen den Interessen Russlands. Dieser Krieg spaltet die Uno bis heute und dient als Präzedenzfall, den Wladimir Putin auch zur Rechtfertigung und Relativierung seines völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine instrumentalisiert.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA folgte erneut eine Phase gemeinsamen Handelns der P5, als sie sich im «Krieg gegen den Terror» vereinten. Diese endete aber bereits Anfang 2003 infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der USA und Grossbritanniens gegen den Irak. Im März 2011 verabschiedete der Sicherheitsrat dann noch einmal eine von den USA, Grossbritannien und Frankreich eingebrachte Resolution: zur Schaffung einer Flugverbotszone über Libyen, um den Beschuss der libyschen Zivilbevölkerung durch die Luftwaffe des Diktators Muammar al-Gaddafi zu unterbinden. Russland und China ermöglichten die Verabschiedung der Resolution durch ihre Enthaltung, mussten dann aber mitansehen, wie die drei anderen Ratsmitglieder die Flugverbotszone dazu nutzten, einen Krieg gegen Gaddafi zu führen mit dem Ziel, ihn zu stürzen.

Russland und China nutzten fortan ihr Vetorecht, um die Verabschiedung fast sämtlicher Resolutionen zu verhindern, die in Bezug auf den Krieg in Syrien in den Sicherheitsrat eingebracht wurden. Im Zuge desselben Konflikts zerbrach dann auch endgültig der nach dem 11. September 2001 entstandene Konsens bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.

Blockierte Reformen

Eine Kooperation im Uno-Sicherheitsrat wird zusätzlich erschwert, weil sich seit Mitte des letzten Jahrzehnts die globalen Spannungen zwischen den Ratsmitgliedern USA und China verstärken. Und seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zehn Monaten ist das Gremium zumindest auf dem Gebiet seiner primären Verantwortung zur «Bewahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit» vollständig blockiert. Eine Überwindung dieser Blockade ist selbst dann nicht zu erwarten, wenn der heisse Krieg eines Tages beendet sein wird, sei es durch Verhandlungen oder durch den militärischen Sieg der einen oder anderen Seite. Dann nämlich werden die Bemühungen der Ukraine und ihrer Unterstützer um strafrechtliche Verfolgung der völkerrechtswidrigen Aggression und der dabei verübten Kriegsverbrechen sowie die Forderung nach Entschädigungsleistungen durch Russland auf der Agenda des Sicherheitsrats stehen.

Der Bundesrat hat angekündigt, dass die Schweiz die zwei Jahre im Sicherheitsrat unter anderem dazu nutzen wolle, Initiativen zur Reform des Gremiums voranzutreiben. Bloss wird darüber bereits seit dreissig Jahren ergebnislos diskutiert. Denn alle bislang vorgelegten Reformmodelle – sei es zur Erweiterung des Rates um zusätzliche ständige Mitgliedstaaten aus dem Globalen Süden oder auch zur Abschaffung des Vetorechts oder gleich der ständigen Mitgliedschaft als solcher – würden eine Abänderung der Uno-Charta erfordern.

Notwendig ist dafür aber nicht nur eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung, also die Zustimmung von 128 der 193 Uno-Mitgliedstaaten, die wahrscheinlich zustande käme. Auch die P5 müssten zustimmen. Wenig überraschend gibt es dafür aber nicht die geringste Bereitschaft, in Washington, London und Paris genauso wenig wie in Moskau und Peking. Dasselbe gilt für die infolge des Ukrainekriegs erhobenen Forderungen, wonach ein ständiges Mitglied aus dem Sicherheitsrat ausgeschlossen werden oder zumindest sein Vetorecht suspendiert werden soll, wenn es einen völkerrechtswidrigen Krieg führt.

Der echte Handlungsspielraum

So wäre es wohl zielführender, wenn die Schweiz ihre Zeit im Sicherheitsrat dazu nutzen würde, die Umsetzung der hundert Reformvorschläge zur Stärkung der Uno einzufordern, die der damalige Generalsekretär Kofi Annan der Generalversammlung bereits 2005 vorgelegt hat. Keine davon würde eine Änderung der Charta erfordern, aber nur wenige sind bislang umgesetzt worden. Darunter etwa die Reform der Menschenrechtskommission (heute Menschenrechtsrat), die seinerzeit unter massgeblicher Beteiligung und Unterstützung des Berner Völkerrechtsprofessors Walter Kälin und der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey gelang.

Das zeigt: Die Schweiz kann auch völlig unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat sehr viel tun, um die Handlungsfähigkeit der Uno zu stärken. Zum Beispiel, indem sie dem Uno-Verbotsabkommen für Atomwaffen endlich beitritt. Oder indem sie im Uno-Menschenrechtsrat ihren Widerstand gegen verbindliche Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialnormen für Konzerne aufgibt. Das würde auch das Ansehen der Schweiz auf der Welt, und insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, deutlich verbessern.

Der Journalist und Geopolitikexperte Andreas Zumach hat mehrere Bücher über die Uno geschrieben; zuletzt erschienen ist «Globales Chaos – machtlose Uno» im Rotpunktverlag (2015).