Kost und Logis: Die Spur des Chasselas

Nr. 1 –

Ruth Wysseier über das letzte Geheimnis des Bundesrats

Wenn der Bundesrat auf seinem Schulreisli ein Bad in der Menge nimmt, wird immer Weisswein ausgeschenkt. Doch welch schockierende Bilder gab es letzten Sommer: Beim Apéro in Schaffhausens Gassen riss Sprecher André Simonazzi Bundesrat Alain Berset vor laufenden Kameras kurzerhand das Weinglas weg. Er erklärte später, warum er eingegriffen hatte: Eine unbekannte Frau habe Berset das Glas in die Hand gedrückt. Da hätte irgendwas drin sein können, K.o.-Tropfen oder gar Gift.

Ist Wein der wichtigste Influencer im Bundeshaus? Wer sich wundert, weshalb unser Parlament im Dezember trotz Sparappellen 6,2 Millionen Franken für die Weinverkaufsförderung gesprochen hat, muss nur der Spur des Chasselas folgen. Welch Glück, dass gerade Henri Guisan im Zweiten Weltkrieg General war. Wer hätte die Schweizer Reben besser gegen den Feind verteidigt? Guisan hatte selbst ein landwirtschaftliches Gut mit Reben bei Aigle. Oder Bundesrat Roger Bonvin (sic!). Im Nationalmuseum gibt es aus den fünfziger Jahren ein Homestoryfoto, das zeigt, wie er mit seiner Frau vor einer schon halb geleerten Flasche Wein auf dem Sofa sitzt. Bundesrat Paul Chaudet war selber Weinbauer. Frisch gewählt, bat er den Fotografen in den Weinberg und hielt eine Chasselas-Traube ins Bild. Auch Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin haben sich in Wort und Tat für den Weisswein eingesetzt. Guy Parmelin war früher ebenfalls Winzer; einige Flaschen vom Rebgut der Familie finden seither den Weg ins Bundeshaus.

Erst kürzlich habe ich erfahren, dass der Bundesrat im Von-Wattenwyl-Haus in Bern einen eigenen Weinkeller hat. Ich wüsste zu gern, welche Schätze dort lagern und wer den Keller kuratiert. Vielleicht der fachkundige Parmelin? In seiner Presseabteilung hat man noch nie von einem Weinkeller gehört. Ich werde ans Team «Anlässe» beim Bundesamt für Bauten und Logistik verwiesen, das zwar die Staatsbesuche mitorganisiert, aber nichts mit dem Catering zu tun hat. Dafür sei die Bundeskanzlei zuständig. Ich wähne mich am Ziel und maile meine Fragen: Kann ich den Keller besuchen? Wer ist zuständig für Einkauf und Auswahl? Wie viele Flaschen lagern dort? Gibt es eine digitale Inventurliste? Gibt es Weinbaubetriebe, die dem Bundesrat Wein schenken? Wie viele verschiedene Chasselas gibt es?

Die Antwort ist ernüchternd, herb, mit enttäuschend kurzem Abgang: Ein Besuch sei nicht möglich; im Keller lägen Weine aus allen Kantonen; welche Weine eingekauft oder ausgeschenkt würden, bestimmten die Bundeskanzlei, die Bundesrätinnen und Bundesräte und das Protokoll.

Ob sie jeweils nach ihrer Mittwochssitzung eine Degustation organisieren? Auch das ist unbekannt. Mir scheint, der Weinvorrat des Bundesrats sei das letzte grosse Geheimnis in Bundesbern. Unüberwindlich die Mauern, die es abschirmen. Da bleibt nur noch die Hoffnung auf ein Datenleck.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. Sie fragt sich, ob der Wein, den Alain Berset nicht trinken durfte, im Labor untersucht wurde.