Kost und Logis: Wein aus der Badewanne
Ruth Wysseier über Weinbautrends
Ganz sicher ist nicht nur der Genuss, sondern auch das Herstellen von Wein ein Menschenrecht. Der Wein wurde vermutlich noch vor dem Feuer erfunden; schliesslich braucht es dazu nichts weiter als ein paar gequetschte Trauben und einen Behälter, in dem der Saft vergärt. Ganz von allein! Ein Kinderspiel eigentlich und darum auch nicht erstaunlich, dass sich allerhand Leute daran versuchen.
Schon eher erstaunlich ist, dass wir solchen Weinen neulich in einem Berliner Trendlokal begegneten. Das Bistro war gut besucht, vorwiegend von sehr jungen Leuten. Über zwanzig Naturweine schenken zwei Französinnen dort glasweise aus. Wir studierten das Angebot: unbekannte Fantasienamen, weder AOC noch renommierte ProduzentInnen. Weine aus Frankreich, Österreich und Deutschland, einer aus der Schweiz. Auf der Etikette stand, dass dieser Weisswein aus Walliser Trauben in Basel produziert und abgefüllt worden sei. Vielleicht in einer alten Regentonne oder in der Badewanne? Jedenfalls war er ungeniessbar. Wir degustierten kreuz und quer, begnügten uns meist mit Fingerhutmengen. Zwei Weine fanden wir schliesslich akzeptabel, alle andern eine Zumutung.
Die Erfahrung erinnerte an die Anfänge des Bioweinbaus, wo die Idee oft mehr überzeugte als das Resultat, während heute viele von Fachleuten gekelterte Bioweine den konventionellen in nichts nachstehen. Warten wir also ab. Bestimmt ist der Trend zum Naturwein eine Reaktion auf die industrialisierte Weinproduktion, die zum Teil skandalöse Dimensionen annimmt.
Davon erzählte Ende September im Westschweizer Fernsehen eine Reportage aus Frankreich. Ein Journalist ist mit versteckter Kamera und Undercover-Aktionen den Geheimnissen des französischen Weins auf der Spur. Gefunden hat er Panschereien, Spritzmittelrückstände und falsche Deklarationen. Am unappetitlichsten war ein Wein aus Südfrankreich, der weltweit zu den meistverkauften gehört. Die zur Rede gestellten Kleinwinzer, bei denen die Trauben für den Massenwein zusammengekauft werden, sprachen vom Preisdruck, der sie zwinge, unlauter zu arbeiten. Die Château-Besitzer, wenn sie sich überhaupt interviewen liessen, schoben die Schuld einzelnen schwarzen Schafen zu oder zweifelten die Messresultate an.
Der Weinbau am Bielersee bewegt sich im Mittelfeld. Es gibt einen einzigen Biowinzer, die anderen arbeiten nach den vertretbar naturnahen Richtlinien der integrierten Produktion. Etliche gut ausgebildete junge WinzerInnen gehen weiter: Eine beginnt auf Bio umzustellen, einer macht einen Stage auf einem biodynamischen Betrieb, etliche verzichten ganz auf Herbizide, sind sparsam mit kellertechnischen Eingriffen, setzen auf Charakterweine und Natur pur. Warten wirs also ab!
Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee und WOZ-Redaktorin.