Leser:innenbriefe

Nr. 1 –

Verwässerte Agrarökologie

«Agrarökologie: Viel mehr als Bio», WOZ Nr. 50/22

Die Kluft zwischen den verschiedenen Exponenten, die sich des Begriffs der Agrarökologie bedienen, scheint mir um einiges grösser zu sein, als der Artikel suggeriert. Agrarforscher wie Urs Niggli (Autor von «Alle satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen») scheuen sich nicht davor, die Agrarökologie, die Demokratisierung unseres Ernährungssystems, Methoden der Präzisionslandwirtschaft mittels Robotik und Digitalisierung sowie gentechnische Verfahren in einem Atemzug zu nennen. Und Agroscope möchte «[…] mit ihrer Forschung die landwirtschaftliche Produktion und damit auch den Pflanzenschutz nach agrarökologischen Prinzipien optimieren». Was genau heisst das nun? Ein Umstieg auf eine ökologische Anbauweise oder nur ein «Optimieren» des Einsatzes von synthetischen Pflanzenschutzmitteln? Da der Begriff «Agrarökologie» im Gegensatz zum biologischen Landbau in keiner Weise geschützt ist, droht er instrumentalisiert und verwässert zu werden.

Kathrin Preisig, Biodynamische Landwirtin, per E-Mail

Lebensrecht für alle Arten

«Biodiversitätskonferenz: Gegen die Zweiteilung», WOZ Nr. 50/22

«Dass nicht dreissig Prozent der Welt zu ‹Wildnis› werden können, ist wohl allen klar», sagt uns der Leitartikel. Aha, der Natur oder besser den anderen zehn Millionen Arten kann die Menschheit offenbar nicht mehr zugestehen. Eine seltsam inkonsequente Haltung!

Der Schweizer Regierung wird dann – durchaus zu Recht – vorgeworfen, nicht einmal die Mindestziele der international eingegangenen Umweltverpflichtungen zu erfüllen. Aber selber möchte die Autorin dann doch mehr als siebzig Prozent der Biosphäre für uns Menschen beanspruchen. Mit «Mankind first» liegt sie damit im allgemeinen Trend der Politik. Daran ändert auch der sicher nett gemeinte Einsatz der Agrarökologie nichts. Dieser im Übrigen wörtlich aus dem Englischen übernommene Begriff bezeichnet ein wissenschaftlich noch wenig definiertes Methodenset einer umweltschonenden landwirtschaftlichen Nutzung, die im deutschen Sprachraum als Biolandbau, Ökolandbau, biologisch-dynamische Landwirtschaft und Permakultur schon längst existiert. Wenigstens gehen von solchen Flächen kaum negative Auswirkungen auf die benachbarten Lebensräume aus. Aber als Lebensräume für die meisten Wildtiere fallen auch diese Gebiete weg.

Wer sagt denn, dass wir als Menschheit nicht auch mit drei Milliarden genug für unseren Planeten sind? Dann wären auch fünfzig Prozent Wildnis keine Unmöglichkeit. Und so viel brauchte es, wenn wir die ethische Position des Lebensrechts für alle Arten ernst nähmen.

Uwe Scheibler, Wetzikon

Etwas unfair

«Leser:innenbriefe: Warten auf Godot», WOZ Nr. 48/22

Jeff Kochan, der zu Heidegger forscht, diskreditiert Bruno Latours Relevanz als Triumph über Stil, möglicherweise als Retourkutsche für Latours manchmal polemische Kritik an Martin Heidegger. Dass Latours Kritik dennoch weit über eine Stilübung hinausgeht, zeigt sich aber gerade in der Hitzigkeit der Debatte, an der Kochan ja auch rege teilnimmt. Ich nehme aber als befremdlich wahr, dass er die Versuche, in dieser Debatte inhaltlich zu differenzieren, als «sich avantgardistisch in Schale werfen» abtut. Er muss ja nicht einverstanden sein, aber die Diskussion so im Keim zu ersticken, finde ich etwas unfair. Auch wenn ein Linkslatourianismus wohl nicht ohne Kritik an Latour möglich ist, kann man ihn dennoch ohne Kochan und möglicherweise ohne Heidegger entwickeln.

Dominik Schlienger-Tuomi, Dalsbruk, Finnland