Essay: Das Universum verteilt Geschenke (aber die sind nicht ganz gratis)

Nr. 2 –

Für Erfolg und Reichtum zählt nur das eigene «Mindset»? In dieser Vorstellung überlebt einiges an altem Wunderglauben – und esoterische Coachings spekulieren damit.

Illustration: Eine Frau sitzt auf einem Motorboot und umgeben von Goldmünzen und Champagner, darüber kreisen goldene Möven
Illustration: Luca Schenardi

Bei einer Recherche über Männercoaches stiess ich 2018 auf R. Eine persönliche Krise hatte ihn veranlasst, neben seinem Job als Aussendienstmitarbeiter eines Heizunternehmens eine Ausbildung zum Life Coach zu machen, und zwar bei der 2016 gegründeten Firma «Erfolgsfamily». Deren Slogan: «Als Coach in den Wohlstand». Die Firma gehört Katharina Ferster und Christian Heinz, die Geschäftsadresse liegt auf Zypern. In der Ausbildung ging es hauptsächlich um Marketing auf Social-Media-Plattformen: Wie erstellt man Gruppen, wie organisiert man Webinare? Auch die Ausbildung fand online statt, über Videocalls. Kostenpunkt: 10 000 Franken. Coaches bildeten hier Coaches aus, die oft selbst wieder Coaches ausbilden wollten. Auf die Frage, ob das nicht ein Schneeballsystem sei, reagierte R. recht unwirsch; er fühlte sich als Betrüger angegangen und brach den Kontakt ab.

Doch das gescheiterte Porträt über Männercoach R. eröffnete mir eine merkwürdige Welt. Ich entwickelte eine regelrechte Sucht nach Facebook-Gruppen, in denen Coaches andere Coachnoviz:innen köderten. Die meisten Follower:innen hier sind in übersinnlichen Gefilden unterwegs: Geistheiler und Aurachirurginnen prahlen mit ihrem Erfolg. Auf der Website der «Fortune Family», wie die Firma mittlerweile heisst, finden sich Dutzende von Testimonials – kaum jemand hier scheint weniger als 10 000 Euro Umsatz pro Monat zu machen.

Positives Denken auf Speed

In einer Publireportage beim deutschsprachigen Onlineportal des Wirtschaftsmagazins «Forbes» sagt die Inhaberin Katharina Ferster zum Umgang mit Gewinnangaben: «Es geht nicht zwingend um das Erreichen des Ziels selbst, sondern um die Visualisierung, den Traum, um diese eine Zahl.» Die herumgereichten Zahlen lassen die Kosten für die angebotenen Webinare winzig erscheinen, verhelfen sie einem doch dazu, Reichtum und Glück wie ein Magnet anzuziehen. Die Kursleiter:innen selbst zeigen sich vor Workshops beim Uhrenvergleich mit Luxusuhren oder in Superheldenkostümen auf Schnellbooten – und sehr gerne an tropischen Stränden. Jedes Bild schreit: Auch du kannst es schaffen! Hier herrscht eine Art positives Denken auf Amphetaminen.

Spuren der Kritik unzufriedener Kund:innen sind rar. Einmal meldete sich verzweifelt eine Schamanin «im Niedrigpreissegment». Nach 22 Jahren im Geschäft wolle sie «endlich mal durchstarten» – aber an die 10 000 Euro für den Kurs komme sie nicht ran. Sie fragte, ob sich das Ganze nicht in Einzelsitzungen buchen lasse. Die Anbieter antworteten mit einem klaren Nein. Wenn sie nicht den ganzen Betrag auf einmal zahle, zeige das «fehlendes Commitment». Denn: «Der Erfolg ist umso grösser, umso mehr Du einsetzt!»

Der Glaubenssatz dahinter: Wenn du dir etwas wirklich wünschst, wenn du wirklich daran glaubst, dann wird es dir das Universum schenken. Und wenn man sich etwas wirklich wünscht – so das Geschäftsmodell beispielsweise der «Fortune Family» –, dann zeigt man das auch mit Geld, das man investiert.

Dieses Vertrauen ins Universum macht seit Mitte der nuller Jahre die Runde. Damals veröffentlichte die australische Autorin Rhonda Byrne ein Buch mit dem Titel «The Secret» (2006), das dann auch als Dokumentarfilm aufbereitet wurde. Im Film plaudern Expert:innen das grosse Geheimnis aus: «das Gesetz der Anziehung». Eine der weisen Galionsfiguren darin macht deutlich: «Alles, was in dein Leben kommt, wurde von dir angezogen» – auch Superreiche seien allein durch ihre Wünsche so erfolgreich geworden.

Die Idee vom «Gesetz der Anziehung» geht auf die einflussreiche Okkultistin Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) zurück, die in New York für ihre aufsehenerregenden Séancen bekannt war. In ihrem Buch «Isis entschleiert» versuchte sie 1877, eine Brücke zwischen modernen Wissenschaften und esoterischen Mythologien zu schlagen. Blavatsky wollte darin einen «Meisterschlüssel zu den Mysterien der alten sowie modernen Wissenschaft und Theologie» liefern. Sie sah ähnliche Kräfte wie jene zwischen physischen Körpern auch zwischen den Toten im Jenseits am Werk. Gravitation beispielsweise war für sie eine Art «magnetische Sympathie», die das ganze Universum ordnete.

Katie Holmes wünscht sich happy

Diese Magnetkräfte kann sich ihren Nachfolger:innen zufolge auch heute noch jede:r zunutze machen: durchs Wünschen. Schön illustriert hat dieses Prinzip zuletzt ein weiterer Film namens «The Secret. Dare to Dream». Der Spielfilm nach dem Buch von Rhonda Byrne sollte 2020 in die Kinos kommen, wurde aber im Zuge der Pandemie nur im Netz veröffentlicht. Katie Holmes spielt darin eine grantige Witwe. Geschieht ihr ein Unglück – das Konto ist leer, ein Sturm zerstört das Haus, ein Kind hat Karies –, zeigt sie sich wenig überrascht: «Ich wusste, es würde etwas Schlimmes passieren, und sehen Sie, da ist es.» Doch dann tritt Bray (Josh Lucas) in ihr Leben und lehrt sie das Wünschen.

Brays Leitspruch: «Man bekommt, was man erwartet.» Als draussen ein Sturm tobt, erklärt er der Witwe und ihren Kindern, dass die Gedanken genau wie ein Magnet funktionierten: «Je mehr wir an etwas denken, desto mehr werden wir es anziehen.» Darauf wünschen sich die Kinder eine Pizza – Peperoni und Würstchen –, und trara: Ein Pizzabote steht da. Der Film ist vollgestopft mit grob montierten Szenen wie diesen: Jemand wünscht sich was, und innert Sekunden bekommt er, was er will. Wenn Bray eine Plexiglaslamelle braucht, um ein Dachfenster zu flicken, schwemmt ihm der See eine ans Ufer.

Während positives Denken noch so etwas wie einen psychologischen Boden hat, funktioniert das Wunschdenken nach dem Gesetz der Anziehung naturgesetzlich. Wie kommen Menschen darauf, das Universum wie den Weihnachtsmann um Geschenke zu bitten?

Die goldenen Eier des Kapitals

Der Wunsch, dass man Wert ohne Produktion schaffen und ohne Leistung reich werden kann, ist uralt. Er zeigt sich schon in der Vorstellung der Alchimisten, dass man mit ausgeklügelten chemischen Prozeduren Gold machen kann, und in den Märchen, in denen die Spinnerin Gold spinnt und der Esel Dukaten scheisst. Karl Marx wiederum attestierte dem Kapital und seiner Fähigkeit, «goldne Eier» zu legen, eine «okkulte Qualität»: Auch die Spekulation kann als eine wundersame Geldvermehrung angesehen werden.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert diagnostizierten die Ethnolog:innen John und Jean Comaroff einen erneuten Aufstieg ökonomischen Wunderglaubens in verschiedensten Bereichen. In einem Essay über «Millennial Capitalism» (2000) schrieben sie, der Finanzkapitalismus lasse die Vorstellung, man könne durch nichts reich werden, als «Gespenst des Kapitals», wie sie es nannten, durch die Bevölkerung geistern: Das Verhältnis zum Glücksspiel verschob sich, Schneeballsysteme nahmen zu, genau wie evangelikale Sekten, die Gläubigen Wohlstand versprachen. Das Ehepaar Comaroff beobachtete, dass «immer mehr normale Menschen glauben, dass geheimnisvolle Kräfte in die Wertproduktion eingreifen».

In der Phase, in der der Kapitalismus wunderbarer wurde, wurde das Wunderbare ökonomischer. So stellt Susanne Schaaf von der Sektenberatungsstelle Infosekta eine deutliche Verschiebung im Supermarkt des Übersinnlichen fest. Während man früher den gesellschaftlichen Ausstieg in ein exotisches Leben gesucht habe, seien für viele Sinnsuchende heute «Möglichkeiten der Selbstoptimierung attraktiv: zu mehr mentaler Freiheit, mehr Glück, mehr Gesundheit, mehr Selbstbestimmung – bis dahin, die Realität selber zu erschaffen».

Manager, die auf Pferden reiten

In vielen Coachingangeboten begegnen sich Arbeits- und Geisterwelt regelmässig. Der deutsche Wirtschaftspsychologe Uwe P. Kanning interessiert sich schon lange für unseriöse Herangehensweisen in der Personalentwicklung: Dinge wie grafologische Gutachten bei Bewerbungen oder Feuerlaufworkshops zur Teambildung. «Die Grenzen zwischen seriösen Methoden und esoterischen Methoden des Coachings sind absolut fliessend», schreibt er auf Anfrage. «Manchmal habe ich den Eindruck, viele glauben, dass das Coaching erst so richtig beginnt, wenn es esoterisch wird.»

In seinem Buch «Wenn Manager auf Bäume klettern …» (2013) hat Kanning einige Methoden genauer unter die Lupe genommen: schamanisches Coaching, Astrocoaching, spirituelles Coaching durch einen Benediktinermönch und Pferdereiten für Führungskräfte. Am wissenschaftlichsten auf der Liste klingt NLP, «Neurolinguistisches Programmieren». NLP verspricht, durch gewisse Gesprächsmethoden Menschen beeinflussen zu können – auf einen ersten Blick erscheint das als eine Art Rhetorik für Manager:innen mit Tiefgang. Entwickelt wurde die Methode in den 1970er Jahren in den USA von dem Psychologen Richard Bandler und dem Linguisten John Grinder. Ursprünglich suchten die beiden nach einer effizienten Form der Therapie: Sie gingen davon aus, dass man dazu bloss das Verhalten erfolgreicher Therapeuten genauer betrachten müsse. Sie seien der «Magie dieser therapeutischen Hexer» auf der Spur, meinten sie 1975 in ihrem Buch «The Structure of Magic». Dabei geht es nicht nur darum, andere zu beeinflussen und zu fördern – sondern auch sich selbst.

NLP-Praktiker:innen sind der Ansicht, dass mehrere «Metaprogramme» unser Verhalten steuern: Glaubenssätze und Grundannahmen über die Welt. Diese Programme funktionieren, so die Behauptung, wie eine Software: Durch selektive Wahrnehmung beeinflussen sie die Informationsverarbeitung, aber auch unsere Handlungsweisen – und damit unsere Erfolgschancen. NLP verspricht, dass sich diese Programme im Kopf umprogrammieren lassen.

In seinem Buch «Das unternehmerische Selbst» (2007) beschreibt der Soziologe Ulrich Bröckling Angebote wie NLP als wenig reflektierte Erben des radikalen Konstruktivismus. Wenn die Realität aus unseren Gedanken entstanden ist, dann kann ich ja auch mich selbst neu kreieren – sofern ich mich nur genug anstrenge. Laut Bröckling folgen Ideen wie NLP dem Kurzschluss, dass sie die Perspektive des Denkens mit einer «Allmacht der Gedanken» verwechseln: «Man muss nur die richtige ‹Brille› aufsetzen, und schon wachsen die Kräfte.»

Damit werden die Grenzen zwischen «vernünftigen» Coachingangeboten und esoterischen Mutmachern, die das Universum bedienen, etwas durchlässiger. Beide sind Teil dessen, was die US-Kulturwissenschaftlerin Julie Wilson als «Privatisierung des Glücks» beschreibt: die Verschiebung der Verantwortung für den eigenen Erfolg ins Innerste des Einzelnen – und wenn man dafür das Universum um Hilfe bitten muss statt seine Nächsten.

Du musst dein Mindset ändern

Das jüngste Lieblingskind der optimistischen Selbstoptimierung ist der Begriff «Mindset», dessen Verwendung seit den nuller Jahren sprunghaft ansteigt. Ähnlich wie beim «Neurolinguistischen Programmieren» versteht man auch unter «Mindset» einen kognitiven Filter, der unser Verhältnis zur Welt und zu ihren Optionen prägt. In seinen kognitions­psychologischen Ursprüngen um 1900 geht das auf den Begriff «Einstellung» zurück. Während man unter einer «Einstellung» noch ein Bündel  kognitiver Prozesse verstand, die auf eine spezifische Aufgabe ausgerichtet waren, be­zeichne­­t «Mindset» heute meist etwas, das den gesamten Alltag bestimmt. Dabei sei das eigentlich ein überflüssiger Begriff, sagt Uwe P. Kanning: «Er beinhaltet nichts Neues. In der Psychologie würde man schlicht von Einstellungen sprechen. Als Anglizismus lässt es sich wahrscheinlich besser vermarkten.»

Im Alltagsgebrauch hat sich insbesondere der Mindset-Begriff der US-Psychologin Carol Dweck durchgesetzt. In ihrem Ratgeberbuch «Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt» (2007) unterscheidet Dweck zwischen einem «fixed mindset» und einem «growth mindset», also einem statischen und einem dynamischen Mindset. Ein statisches Mindset führe zu «erstickenden» Situationen, es mache die Welt «klein und eng». Betrete man hingegen die Welt von Menschen mit dynamischem Selbstbild – Künstlerinnen, Sportlern, Manager:innen – dann ändere sich das: «Diese Welt ist heller, weiter, voller Energie und Möglichkeiten», schreibt Dweck in ihrem Buch.

Auch wenn Dweck nicht zu Esoterik neigt, treibt sich der von ihr geprägte Begriff mittlerweile in allen möglichen Ecken herum. 2020 klagte sie gegenüber der britischen Bildungszeitschrift «Tes» sogar, die Verwendung des Konzepts sei mittlerweile «unkontrollierbar» geworden. Die Hoffnung, dass wir vielleicht doch die Herrscher:innen unseres Universums sind, hat sich im Begriff «Mindset» im Alltag eingenistet. Wer seine Leistungsfähigkeiten und Erfolgschancen verändern will, muss heute einfach sein Mindset ändern. Im Namen des Mindsets starren Menschen Collagen von Villen und Luxusautos an, weil ihr Coach ihnen gesagt hat, dass sie so ihre Erfolgsziele visualisieren können.

Auch mein angehender Männercoach R. betonte damals: «Mindset ist die Grundlage von allem. Das heisst: Alles, was du dir vorstellen kannst, kannst du auch machen.» Seine Eltern hätten ihm einst noch vorgelebt, «dass nur harte körperliche Arbeit eine ehrliche Arbeit ist». Diesen Glaubenssatz habe er zuerst aus dem Weg räumen müssen, um Erfolg zu haben. R. ist immer noch im Netz, erstellt Facebook-Gruppen, um Kund:innen anzuziehen, fotografiert sich gerne mit Sonnenbrille an der Reling mittelgrosser Boote. Männercoach ist er nicht mehr. Im Moment setzt er auf Kryptowährungen und versucht sich in Investments mithilfe der Akasha-Chronik – einer Art übersinnlichem Weltgedächtnis, in der esoterische Grössen wie Rudolf Steiner und Helena Petrovna Blavatsky angeblich die Geschicke der Zeit zu lesen wussten.