Auf allen Kanälen: «Ist das Cancel Culture?»

Nr. 25 –

Der Fall des angeblich behördlich zensurierten Autors Alain Claude Sulzer sorgt für Aufregung.

Ausschnitt aus einem stilisierten Foto von Alain Claude Sulzer

Nächste Runde in der Endlosdebatte um politisch überkorrekte Angriffe auf die Freiheit: Seit Tagen sorgt der Fall des Basler Schriftstellers Alain Claude Sulzer, der sich von der kantonalen Literaturförderung wegen einer den Zeitgeist konterkarierenden Sprache zensuriert wähnt, für erhitzte Gemüter. Dabei beschränkt sich die Aufregung nicht nur auf die Schweiz; auch jenseits der Landesgrenzen hat man sich der Affäre angenommen. Die «Süddeutsche Zeitung» etwa fragte besorgt: «Ist das Cancel Culture?»

Was war passiert? Sulzer hatte für ein Romanprojekt eine Werkförderung in Höhe von 25 000 Franken bei den Kantonen Basel-Stadt und Baselland beantragt. Dafür reichte er die ersten zwanzig Seiten des geplanten Buches beim Fachausschuss Literatur zur Begutachtung ein. Der Autor erhielt nun aber eine Rückfrage. Da er in seinem Text vielfach den diskriminierenden Begriff «Zigeuner» verwendet, bat Katrin Grögel, die Leiterin der Abteilung Kultur im kantonalen Departement, um eine Stellungnahme, warum genau er dieses Wort gebrauche – immerhin weise es der Duden ja als problematisch aus.

Im Eskalationsmodus

Sulzer hätte sich nun hinsetzen und ein knappes Antwortschreiben formulieren können. In diesem hätte er darauf hinweisen können, dass es sich bei seinem Romanprojekt um den Bericht eines Mannes im Pensionsalter handelt, der sich an die Zeit der sechziger und siebziger Jahre zurückerinnert. Er hätte erläutern können, dass man es hier also mit der Figurenrede eines Protagonisten zu tun hat, der sprachlich nicht besonders sensibel, vielleicht ja sogar ein Rassist ist, jedenfalls so redet, wie man es vor fünfzig Jahren verbreitet getan hat.

Stattdessen aber schaltete Sulzer in den Eskalationsmodus. Erzürnt zog er sein Gesuch zurück und wandte sich an die «NZZ am Sonntag», in der er das darlegte, was er auch einfach Grögel hätte antworten können, und ausserdem klagte, Opfer von «Zensur» geworden zu sein.

Letzteres wiederum zeugt nun tatsächlich von einer bemerkenswerten Unbedarftheit in der Wortwahl – gerade bei jemandem, der mit Sprache sein Geld verdient. Immerhin war ja der Antrag nicht abgelehnt worden (auch wenn das manche Medien so kolportierten), sondern es hatte eben eine Rückfrage gegeben. Als Antragsteller mag man das als ehrenrührig oder ärgerlich empfinden, andererseits handelt es sich um öffentliche Gelder, die hier vergeben werden – insofern erscheint das Vorgehen auch nicht als völlig unzumutbar.

Trotzdem ordneten zahlreiche Medien Sulzers wenig souveräne Reaktion nicht entsprechend ein, sondern es verselbstständigte sich in Windeseile das Zensurnarrativ, was eine Folge der von rechts unablässig geschürten Panik vor linkem Tugendterror sein dürfte. Diese gesellschaftliche Neurose ist im Wesentlichen aus den USA importiert, wo mittlerweile manchen schon die Vorstellung Angstschweiss auf die Stirn treibt, im Supermarkt versehentlich Produkte von Konzernen eingekauft zu haben, die sich allzu liberal in Sachen Antirassismus oder Transrechte positioniert haben.

Interne Zerwürfnisse

Das ändert nichts daran, dass auch das Vorgehen der Basler Ausschussvorsitzenden unglücklich war. Laut «NZZ am Sonntag» handelte Grögel mit ihrer Nachfrage bei Sulzer ohne Rücksprache mit den übrigen Gremiumsmitgliedern, was intern zu Zerwürfnissen führte. Die Verlegerin Bettina Spoerri erklärte ihren Rücktritt – und in den sozialen Medien kam es zu Schlammschlachten.

Der jenische Historiker Venanz Nobel kritisierte derweil auf «Bajour», dass die Debatte «ziemlich weit von den Minderheiten selbst» stattfinde, und wies darauf hin, dass unter Sinti, Rom:nja und Jenischen keine Einigkeit herrsche, wie man es mit dem inkriminierten Ausdruck halten solle. In diese Kerbe schlug auch Thomas Hürlimann, einer von fünf Autor:innen, die die «NZZ am Sonntag» letzte Woche befragte, um die Aufregung noch ein bisschen weiter zu bewirtschaften. Bei der Gelegenheit klagte Hürlimann auch noch über die «dümmliche Gutmenschlichkeit». Offenbar haben gerade diejenigen, die sich besonders für das freie Wort ins Zeug legen, zugleich kein Problem damit, sich auszudrücken wie ordinäre Rechtspopulist:innen.