Auf allen Kanälen: Fashion statt Faschismus
Schon vor Elon Musk hat Twitter die Verbreitung rechter Propaganda begünstigt, unter der Führung des rechtslibertären Milliardärs ist der Kurznachrichtendienst jedoch vollends zur digitalen Kloake verkommen. Auf der Plattform stösst man auf Grossaccounts, die über die angebliche Rolle «jüdischer Oligarchen» bei der «Destabilisierung des Westens» spekulieren oder sich einen Spass daraus machen, zum Posten rassistischer Ausdrücke anzustacheln. Zudem sollen laut BBC Abonnent:innen des kostenpflichtigen Dienstes Twitter Blue im grossen Stil Fake News über den Ukrainekrieg verbreiten.
Der Zeitpunkt, um dem kriselnden Netzwerk Konkurrenz zu machen, könnte kaum besser sein, zumal Musk zuletzt für Ärger sorgte, indem er die Zahl der Nachrichten, die man auf Twitter an einem Tag lesen kann, vorübergehend einschränkte. Es überrascht also nicht allzu sehr, dass der vergangene Woche lancierte Kurznachrichtendienst Threads zumindest den Zahlen nach ein voller Erfolg ist: Schon nach fünf Tagen vermeldete die Plattform, die wie Facebook, Instagram und Whatsapp Mark Zuckerbergs Techunternehmen Meta gehört, über hundert Millionen Anmeldungen.
Mächtig uninspiriert
Das beeindruckende Wachstum des Netzwerks, das in der EU und in der Schweiz aus datenrechtlichen Gründen noch nicht zugänglich ist, dürfte vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass man sich über ein Instagram-Konto registrieren muss: Wer über ein solches verfügt – und das trifft auf weit mehr als eine Milliarde Menschen zu –, ist mit ein paar Klicks auch beim neuen Dienst dabei. Meta spielt damit seine überbordende Marktmacht aus.
Ansonsten aber handelt es sich bei Threads um einen eher uninspirierten Twitter-Klon. Der neuen Plattform fehlen sogar wesentliche Funktionen von Twitter. So gibt es bislang keine Hashtags, sodass es zum Beispiel nicht möglich ist, bei globalen Grossereignissen gezielt nach Nachrichten zu diesen zu suchen, um sich mit anderen darüber in Echtzeit auszutauschen. Der Threads-Feed wiederum ist ein Mix aus Nachrichten von Leuten, denen man folgt, sowie Posts, die der Algorithmus auswählt – eine Möglichkeit, dies umzustellen, gibt es bislang nicht. Zudem lassen sich keine Direktnachrichten verschicken.
In der Praxis mutet somit das, was Meta als Alternative zu Twitter bietet, auf eigene Weise abgründig an. Dank Algorithmus liest man beispielsweise von der Begeisterung des Instagram-Chefs Adam Mosseri, bei einem Formel-1-Rennen Gast gewesen zu sein, oder man kann verfolgen, wie Amazon-Gründer Jeff Bezos nach seiner Registrierung bei Threads mit Zuckerberg schäkert.
«Sieg» für die Dezentralisierung
Von der Meta-Chefetage ist diese postpolitische Belanglosigkeit gewollt: Sie bewirbt Threads als Netzwerk zum Wohlfühlen. Schon bei Facebook bremst der Algorithmus politische Inhalte aus (was es Medien wie der WOZ schwerer macht, ihr Angebot unter die Leute zu bringen). Mosseri schrieb entsprechend, dass man mit Threads «einen Marktplatz» schaffen wolle für Instagram-Nutzer:innen, die nie mit Twitter warm geworden sind, wie auch für Twitter-Flüchtlinge, «die an einem weniger wütenden Ort für Konversationen interessiert sind». Neben politischen Themen gebe es ja noch andere Interessengebiete, die «amazing» seien: Sport etwa oder Musik und Mode.
Im Windschatten von Threads profitiert aber auch Mastodon von der Twitter-Dauerkrise: Der Nonprofitdienst wuchs zuletzt wieder kräftig. Bemerkenswert ist zudem die Ankündigung von Meta, dass Threads mittelfristig kompatibel mit dem dezentralen Netzwerk Fediverse sein soll, dem auch Mastodon angehört: Das würde heissen, dass Nutzer:innen der beiden Plattformen miteinander interagieren könnten. Mastodon-Gründer Eugen Rochko sprach so auch von einem «klaren Sieg» für das Bestreben, soziale Medien zu dezentralisieren.
Im dezentralen Serververbund des Fediverse herrschte dennoch nicht nur Jubelstimmung. Die Mastodon-Instanz chaos.social etwa kündigte an, Threads zu blockieren, um so die eigene Community zu schützen. Das klingt einerseits so, als habe man es sich in der Nische bequem gemacht. Andererseits gibt es bereits erste Meldungen, dass prominente US-Rechtsextremist:innen versuchen, Zuckerbergs neuen Dienst für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.