Brics-Gipfel in Südafrika: Kühle Freundschaft
Nächste Woche treffen sich in Johannesburg die Staatsoberhäupter von Brasilien, Indien, China und Südafrika. Grosser Abwesender ist Wladimir Putin, doch fallengelassen haben ihn die Brics-Staaten noch lange nicht.
Schlussendlich dürfte Cyril Ramaphosa erleichtert gewesen sein, als er Mitte Juli offiziell vermelden durfte: Wladimir Putin wird nicht nach Johannesburg reisen. Nächste Woche treffen sich dort die Staatsoberhäupter der Brics-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) sowie Gesandte aus über sechzig weiteren Staaten. Aus Russland kommt nun Aussenminister Sergei Lawrow, während sich der Präsident bloss per Video zuschalten will.
Monatelang hat sich Südafrikas Präsident unter dem Druck gewunden, der Welt und der eigenen Bevölkerung erklären zu müssen, wie sein Land mit der angekündigten Einreise des russischen Kriegstreibers umzugehen gedenke. Denn im März hat der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin ausgesprochen. Von einer Ausladung hat Ramaphosa trotzdem abgesehen, am Ende habe man «im gegenseitigen Einverständnis» entschieden.
Eine «multipolare Weltordnung»
Die Wirren um Südafrikas Umgang mit Putin stehen im Kontext der geopolitischen Gegenwart: Da sind die Bestrebungen der westlichen Industriestaaten, Russland aufgrund der völkerrechtswidrigen Invasion in die Ukraine wirtschaftlich und diplomatisch zu isolieren. Die USA, einer der wichtigsten Absatzmärkte Südafrikas, sollen Ramaphosa etwa mit der Wiedereinführung von Importschranken gedroht haben. Es wäre ein empfindlicher Einschnitt für das Land, das derzeit mit wirtschaftlicher Stagnation und einer grossen Energiekrise kämpft.
Da ist aber auch der innenpolitische Kontext mit historischen Bezügen: Teile der linken Opposition fordern von der Regierung Solidarität mit Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion, die sich einst auf die Seite von Südafrikas Antiapartheidbewegung gestellt hatte. Auf der anderen Seite macht aber auch Südafrikas liberale Opposition Druck. Sie ging vor Gericht, um eine Umsetzung des ICC-Haftbefehls gegen Putin zu erzwingen.
Ramaphosas unentschiedenes Handeln steht sinnbildlich für einen Staatenblock, dessen Mitglieder im Umgang mit Russlands militärischer Aggression ins Schlingern geraten sind. Gegen aussen treten die Brics-Staaten weiterhin als bewährte Allwetterpartner auf; Russland konnte auf ihren wirtschaftlichen und diplomatischen Rückhalt zählen, insbesondere den von China. Keines der Länder trägt die internationalen Sanktionen gegen Russland mit. Einzig Brasilien hat nach der Invasion für eine Uno-Resolution zu deren Verurteilung gestimmt – noch unter dem rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. Sein linker Nachfolger Lula da Silva hingegen hat Putins Narrativ von einem russischen Verteidigungskrieg in Teilen übernommen.
Als Staatsoberhaupt Südafrikas, des in mancherlei Hinsicht schwächsten Mitglieds der Brics, will Ramaphosa nun einen hochkarätigen, ja geschichtsträchtigen Gipfel abhalten: Nicht weniger als die Schaffung einer neuen Währung steht im Raum, die dem US-Dollar als globaler Leitwährung Konkurrenz machen und damit das Schuldensystem der Welt fundamental umkrempeln soll. Ebenfalls zur Debatte steht eine Vergrösserung der Brics-Gruppe. Mehr als zwanzig Staaten haben offiziell um einen Beitritt ersucht, darunter etwa Argentinien, Indonesien, Algerien, Saudi-Arabien und Russlands militärisch wichtigster Partner, der Iran – dessen Präsident Ebrahim Raisi höchstpersönlich am Gipfel erwartet wird.
Schon heute leben über vierzig Prozent der Weltbevölkerung in einem der fünf Brics-Staaten, die zusammen über dreissig Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften. Ins Leben gerufen wurde die Gruppe Mitte der nuller Jahre, 2010 stiess mit Südafrika das bislang einzige Neumitglied hinzu. Seither festigte sich ihr Selbstverständnis als geopolitische Kraft, die den Übergang vom «amerikanischen Jahrhundert» zu einer «multipolaren Weltordnung» (vgl. «Diplomatie zum Selbstschutz») herbeiführen werde. Eine Erzählung, die auch in der westlichen Linken teils hoffnungsvoll aufgegriffen wurde.
Strapazierte Einigkeit
Dabei lässt der Brics-Block wenig Raum für emanzipatorische Erzählungen. Neben Wladimir Putin in Russland präsentiert sich auch Xi Jinping in China als unbeirrbarer Autokrat, und auch der hindunationalistische Narendra Modi in Indien regiert mit harter Hand. Und genau wie der wirtschaftliche Aufschwung ist auch die Einigkeit unter den Brics-Staaten kein Selbstläufer: Chinas «grenzenlose Freundschaft» mit Russland scheint abgekühlt, davon zeugten jüngst etwa ein diplomatischer Eklat in Sibirien sowie Chinas Teilnahme am Ukraine-Gipfel in Dschidda. Mit dem Brics-Staat Indien steht China zudem in einem Grenzkonflikt im Himalaja, der sich in den letzten Jahren zugespitzt hat.
Uneinigkeit herrscht denn auch mit Blick auf eine Brics-Erweiterung. China treibt die Idee voran, Russland und Südafrika befürworten sie. Indien hingegen steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber: Es hat sich zuletzt vermehrt den USA und Europa zugewandt und möchte keine Zunahme der chinesischen Machtfülle im geopolitischen Gefüge. Und auch Brasilien soll innerhalb einer vergrösserten Brics-Gruppe einen Statusverlust befürchten.
In einem dürften sich die Staaten aber weiterhin einig sein: Das Mitgliedsland Russland wird so schnell nicht fallen gelassen. Und sei es nur, um damit «dem Westen» die Stirn zu bieten.
Nachtrag vom 31. August 2023: Zynische Solidarität
Am Ende des Gipfels in Johannesburg letzte Woche verkündete Gastgeber Cyril Ramaphosa eine grosse Neuigkeit. Der Brics-Block (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) wird sechs neue Vollmitglieder erhalten und sich wohl einen neuen Namen suchen müssen. Offenbar hat sich China – die treibende Kraft hinter der Ausweitung – durchgesetzt.
Argentinien, Ägypten, Äthiopien, der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate: Angesichts der menschenverachtenden Regimes, die in manchen der neuen Mitgliedstaaten regieren, klingt es fast schon zynisch, wenn Chinas Präsident Xi Jinping beim Ausbau von einer «Entwicklung durch Solidarität» spricht. Aber es entspricht dem Selbstbild des Blocks: Einst als aufstrebender Investmentraum für Wall-Street-Banker:innen entworfen, haben sich die Brics-Staaten in den letzten Jahren immer stärker als vermeintliche Repräsentanten des Globalen Südens inszeniert.
Die Brics-Staaten hatten stets unterschiedliche, teils konträre Interessen. Das wird sich mit der Aufnahme verfeindeter Länder wie Saudi-Arabiens und des Irans bloss noch verschärfen. Umso wichtiger scheint der gemeinsame Nenner: Die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom US-Dollar soll beendet und die Dominanz der G7-Staaten gebrochen werden. So haben die Brics-Mitglieder in Johannesburg Finanzministerien und Zentralbanken beauftragt, bis zum nächsten Gipfel Perspektiven für eine bessere Zusammenarbeit zu eruieren.
Dieser soll 2024 in Russland stattfinden. Allen internationalen Isolierungsbestrebungen zum Trotz wird Gastgeber Wladimir Putin sich dort als Repräsentant von 46 Prozent der Weltbevölkerung zu inszenieren wissen.