Im Affekt: Fankultur für Fortgeschrittene
Es klingt absurd: Drei Tage lang sollen die Polizeiposten in Luzern geschlossen bleiben. Der Grund: ein internationales Fussballspiel – oder präziser: Fussballfans. Um für die möglicherweise randalierenden Männer Kapazitäten zu haben, wird auch noch Verstärkung aus umliegenden Kantonen angefordert. Kommentarschreibende fordern nun griffige Massnahmen, Geisterspiele oder gar das Schliessen der Stadien.
Wie wäre es stattdessen mit einem Kulturwandel? Dass Sportbegeisterung auch viel entspannter geht, hat die Boulder- und Kletter-WM in den letzten zwei Wochen in Bern gezeigt. 42 000 Fans besuchten den Grossanlass – ohne jeden Zwischenfall. Zwar ging es auch an diesem Anlass laut zu und her, das Publikum fieberte mit, feuerte an und jubelte – doch es stand stets die Unterstützung der Sportler:innen im Zentrum. Null Energie wurde für das Niedermachen der gegnerischen Athlet:innen aufgewendet. Wozu auch?
Klar, die Ausgangslage ist eine völlig andere: Spielen Fussballteams direkt gegeneinander, ringen Kletter:innen in erster Linie mit sich selbst und der Wand. Trotzdem treten auch sie gegeneinander an. Wie respektvoll sie das tun, zeigt sich unter anderem vor dem Einstieg in die Route: Mit dem Feldstecher studieren die Teilnehmenden die Wand. Dabei diskutieren sie zusammen schwierige Stellen und spielen sogar gemeinsam mögliche Kletterzüge durch. Man stelle sich vor, zwei gegnerische Fussballer besprächen vor einem Freistoss den besten Winkel für den Schuss …
Wie gelassen auch mit Sieg und Niederlage umgegangen wird, zeigt sich im Final der Männer: Der Tscheche Adam Ondra sitzt nach erfolgreicher Kletterpartie im roten Sessel, der für den aktuell Führenden bestimmt ist. Als der Österreicher Jakob Schubert eine höhere Punktzahl erreicht, bleibt Ondra gedankenverloren im roten Sessel sitzen. Schubert zieht neben ihm seinen Klettergurt aus. Erst als ein Mitarbeiter Ondra darauf hinweist, dass er den Stuhl verlassen müsse, zieht sich dieser unter dem Gelächter des Publikums in die zweite Reihe zurück. süs
2025 gastiert der Boulderweltcup in Bern – eine gute Gelegenheit, diese Fankultur live zu studieren.