Im Affekt: Sex ist verboten, aber der Zipfel lebt!

Nr. 40 –

Um Hunde und ihre Halter:innen kommt man hier nicht herum. Etwa eine freundliche Holländerin, die bittet, kurz aufzupassen auf ihren Dreibeiner (der Arme, ein Unfall), sie wolle kurz ins Wasser, dann aber zu erzählen beginnt über die innige Verbindung zum Tier und ihre Doga-Arbeit (genau, Yoga mit Dog). Oder ein weniger freundlicher Pensionierter, ein dürres Männchen, das seinem riesigen schwarzen Kampfhund gerade einen Maulkorb überzieht. Das übergriffige Tier dient offensichtlich als Potenzkrücke. Soeben hat es sich auf einen winzigen Kläffer gestürzt, und das Männchen ist aus dem Häuschen: Seit der chemischen Kastration sei der Hund einfach nicht mehr derselbe, lässt er den ganzen Strand wissen. Zum Glück habe er ihm nicht die Eier abschneiden lassen, wie es ihm «alle Frauen» in seinem Umfeld empfohlen hätten.

Es sind die letzten heissen Herbsttage, und die Gemüter kochen noch einmal hoch, hier an einem der letzten wilden Flecken von Zürich, dem westlichsten Zipfel der Werdinsel. Zwar hat die Stadt hier vor fünf Jahren aufgeräumt, das «Wäldchen» gelichtet, am schwulen Cruising-Ort ein Sexverbot verhängt, die Polizei auf die Büsche angesetzt. Ein freizügiges und sehr unterhaltsames soziales Milieu ist geblieben. An einem schönen Tag tummeln sich hier so vielfältige Gestalten, dass es fast beiläufig erscheint, dass die meisten von ihnen nackt sind: freie Kuriositätenkultur.

Am Anfang des Zipfels, immer mit Sonnenschirm, die pensionierten Raver:innen. Daneben einige Normalos, im hohen Gras das jüngere schwule Stammpublikum. In einer Ecke des arenaförmigen Strands queere Punks, unter einem Baum eine Grossfamilie Goaner:innen, die ihre tätowierten Ganzkörpermandalas der Sonne entgegenstrecken. Weiter hinten drei gesprächige ältere Herren um einen Grill, vom Gestus her könnte das der Stammtisch im «Löwen» sein, nur dreht sich das Gespräch gerade um die Konsistenz von Körpersäften. Dann die auffällig gut aussehenden Heteropärchen, die auch ohne Kleider noch gut angezogen wirken. Wir erinnern uns, in welcher Stadt wir sind.

So kann man es auch nennen: Als er 2017 das neue Regime ankündigte, sprach FDP-Stadtrat Leutenegger von «hoher Eigenverantwortung».