Leser:innenbriefe

Nr. 41 –

Mir ekelt vor diesem Leben

«Essay: Sterben lassen und leben machen», WOZ Nr. 36/23

Wir alle sind heute neoliberaler, als manchen lieb sein kann. Das zeigt Stephan Lessenich im erhellenden und nachlesenswerten Essay auf. Leider tappt er bei seiner Analyse in die Negationsfalle, indem er die Kampfbegriffe oder die pseudoreligiösen Formeln des heute weltweit zerstörerisch wirkenden Wirtschaftsdogmas auflistet. Er entmythisiert verdientermassen die Rolle, die der Staatsmacht zukommen sollte. Er nennt das den Mythos vom «Rückzug des Staates». Die Herrschaft der Macht spüren wir, wenn wir vom Gesetz gezwungen – vollständig reguliert – werden, Geld für unseren Lebensabend und für Krankheiten zu sparen. Von diesen Fesseln können wir uns kaum befreien. Ebenso vergiften wir die Erde lokal und global und wissen nicht, wie wir unsere Lebensgrundlagen sorgsam pflegen können. Wie jede real existierende Ideologie hat auch die herrschende ihre Dreieinigkeit. Sie heisst in einer eigenwilligen Übersetzung, damit ich nicht in die Negationsfalle trete: Basar ohne Kontrolle, Biegsamkeit der Menschen, die Öffentlichkeit berauben (Marktliberalisierung, Arbeitsflexibilisierung, Privatisierung).

Indem wir die heutigen Zustände beschreiben und beanstanden, lassen wir sie im Geiste immer wieder neu entstehen. Die beabsichtigten Vorstellungen schleichen auf leisen Sohlen in unser Gehirn. Mir fehlt ein Ausweg aus dieser Notlage. Diesen habe ich bis heute nirgends gefunden. Was wollen wir Linken, wenn es einmal keinen Neoliberalismus mehr gäbe? Wir sollten uns ein Leben danach vorstellen und ausmalen. Mir reicht «sozialer» oder «grüner» nicht.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur mit einem Ekelgefühl aus der heutigen Lage herauskommen. Wenn es uns anekelt und uns zum Kotzen ist, wenn wir nur an die nanoverseuchten PET-Flaschen denken, aus denen wir ständig Wasser trinken und die unsere Kinder unfruchtbar werden lassen. Deshalb sollten wir dringend Antworten suchen, damit wir uns nicht vor diesem Leben ekeln.

Otto Georg Tschuor, Seewil

Wissenschaft als Religion

«Läderach-Skandal: Blinder Fleck Privatschulen», WOZ Nr. 39/23

Der Staat soll also Kinder vor unwissenschaftlichen Theorien schützen, wie es im Artikel ausgeführt wird. Damit erheben Sie die Wissenschaft selbst zu einer Religion, und die Reduzierung auf die Wissenschaft ist in meinen Augen genauso ein geschlossenes Weltbild. Der Dialog über das Bildungssystem sollte offen und konstruktiv geführt werden, und das Wohl der Kinder steht über allen anderen Interessen. Der Artikel ist leider (wieder einmal) ein blinder Rundumschlag gegen alles «Nichtstaatliche». Schade. In dieser Art und Weise werden wir die traurigen Missstände, wie in der Schule in Kaltbrunn, kaum aufarbeiten können.

Markus Schwegler, per E-Mail

Für Gesundheit statt Profite

«Krankenkassenprämien: Die wahren Kostentreiber», WOZ Nr. 39/23

Die steigenden Krankenkassenprämien drücken immer stärker auf das Portemonnaie. Deshalb müssen die Prämienverbilligungen ausgebaut werden, sodass niemand mehr als zehn Prozent des Haushaltsbudgets für die Prämien ausgeben muss. Doch das reicht nicht. Die Finanzierung unseres Gesundheitssystems muss grundsätzlich reformiert werden. Heute schöpfen Krankenkassen, Pharmakonzerne und Aktiengesellschaften riesige Gewinne aus dem Gesundheitswesen ab. Gewinne, die wir alle mit unseren Prämien mitfinanzieren. Es kann doch nicht sein, dass wir mit unseren Prämien die Chefetagen von über fünfzig Krankenkassen durchfüttern müssen. Stattdessen braucht es eine solidarisch finanzierte Einheitskasse nach dem Modell der Suva, deutlich tiefere Medikamentenpreise und eine Stärkung der Allgemeinmedizin. Damit es in unserem Gesundheitssystem endlich wieder um das Wesentliche geht: um die Gesundheit der Menschen statt um die Profite von wenigen.

David Stampfli, Wabern b. Bern