Krankenkassenprämien: Die wahren Kostentreiber

Nr. 39 –

Nach 6,6 Prozent im aktuellen Jahr steigen die Krankenkassenprämien 2024 noch einmal stark an. Wer und was treibt die Prämien in der Grundversicherung derart in die Höhe?

8,7 Prozent: Die eben vom Bundesrat bekannt gegebene durchschnittliche Prämienerhöhung für 2024 dürfte viele noch einmal in Schockstarre versetzt haben. Seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahr 1996 ist die durchschnittliche Prämie für Erwachsene von 173 Franken auf nunmehr 427 Franken gestiegen. Damals hatte der Bundesrat eine Zielvorgabe formuliert: Die Prämienlast sollte acht Prozent eines verfügbaren Haushaltseinkommens nicht überschreiten – und höhere Prämien durch Prämienverbilligungen abgemildert werden.

Inzwischen machen Prämien im Schnitt über vierzehn Prozent eines Haushaltseinkommens aus. Eine vierköpfige Familie mit einem Kind über und einem Kind unter neunzehn Jahren bezahlt durchschnittlich knapp 15 000 Franken Prämien pro Jahr. In teuren Kantonen können es gar 19 000 Franken sein – ohne dass die Familie überhaupt eine Gesundheitsleistung in Anspruch genommen hätte.

Fast alle Kantone haben das Prämienverbilligungsvolumen in den vergangenen Jahren eingefroren oder gar gesenkt, ihren gesetzlichen Auftrag also nicht erfüllt. Auch darum ist die Schweiz europäische Spitzenreiterin, wenn es um selbstbezahlte Gesundheitsleistungen geht; dieser Anteil beträgt durchschnittlich 5,3 Prozent des verfügbaren Einkommens. In europäischen Ländern sind es im Schnitt zwei Prozentpunkte weniger (siehe WOZ Nr. 35/23).

Die guten Kosten

Die Gesundheitskosten der Schweiz beliefen sich gemäss Bundesamt für Statistik 2021 auf 86 Milliarden Franken oder 11,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Davon finanzierte die obligatorische Grundversicherung rund 35 Milliarden, von den Kantonen flossen 11 Milliarden Franken an die Spitäler.

Im Grundsatz ist das nicht schlecht. Wohlhabende Länder wie die Schweiz geben viel für Gesundheit aus. Vor einem Jahrhundert bezahlten die Menschen noch deutlich mehr für Nahrungsmittel als für medizinische Leistungen. Mit wachsendem Wohlstand konsumieren sie immer mehr Gesundheitsleistungen. Es gibt im Wesentlichen drei volkswirtschaftliche Kostentreiber, die kaum jemand kritisieren dürfte: wachsender Wohlstand, medizinischer Fortschritt und die Demografie. Reto Wyss, Gesundheitsexperte des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), sagt: «Zahlreiche Studien zeigen, dass dieses Wachstum pro Jahr etwa zwei Prozent beträgt. Das ist grundsätzlich positiv, weil es unser aller Leben verlängert und verbessert.» Was darüberliege, müsse man genau unter die Lupe nehmen: «Wer verursacht zu hohe Kosten? Wer zockt ab?»

Das Mengenproblem

Genau diese Frage hatte Gesundheitsminister Alain Berset im Fokus, als er 2016 eine Expert:innengruppe einsetzte. Sie sollte das Kostenwachstum analysieren und Vorschläge erarbeiten, um es in den Griff zu bekommen. 2017 kamen die Expert:innen zum Schluss: Die Schweiz könne in der Grundversicherung zwanzig Prozent der Kosten reduzieren – ohne Qualitätseinbussen. Sie schlug 38 Massnahmen vor, um dieses Ziel zu erreichen. Doch das von gut bezahlten Lobbyist:innen durchsetzte Parlament hat bis heute eine speditive Umsetzung dieser Massnahmen verschleppt. Und ist damit für die mittlerweile unerträgliche Prämienlast wesentlich verantwortlich.

Der Bericht ortete vor allem ein «Mengenproblem» bei den Ärzt:innen in freien Praxen, im stationären Bereich und auch in den ambulanten Stationen der Spitäler. Demnach stiegen nicht die Preise pro Fall, sondern die Fallzahlen um bis zu dreissig Prozent. Ein weiterer vermeidbarer Kostentreiber: die Medikamentenpreise. Hierzulande kosten Medikamente rund doppelt so viel wie im restlichen Europa. Ausserdem verschreiben Ärzt:innen, die an Originalpräparaten besser verdienen, nicht günstigere Generika oder Originalpräparate, deren Patent ausgelaufen ist. Selbst Generika sind in der Schweiz erheblich teurer als in der EU. 685 Millionen Franken liessen sich jährlich allein durch günstigere Präparate einsparen. 2022 wurden in der Grundversicherung rund neun Milliarden Franken für Medikamente abgerechnet – ein Viertel aller Kosten in der Grundversicherung.

Und inwiefern sind die Versicherten selbst am Kostenwachstum beteiligt? Rennen sie zu oft zur Ärztin, wie von bürgerlicher Seite behauptet wird? Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2019 sagt etwas anderes: Die Schweiz liegt mit 4,3 jährlichen Arztbesuchen pro Person abgeschlagen auf Platz 25 von 34 Ländern. An der Spitze: Südkorea mit 17,2 Arztbesuchen.

Das Profitproblem

Rund 40 000 Ärzt:innen praktizieren in der Schweiz, davon sind nur 8500 Hausärzt:innen. Letztere verdienen in der Regel deutlich weniger als Fachärzt:innen. Das Bundesamt für Gesundheit publizierte 2018, basierend auf Daten von 2009 bis 2014, eine Studie zu den Löhnen der Fachärzt:innen. Deren Medianlohn lag demnach bei rund 260 000 Franken. Spitzenverdiener:innen waren Neurochirurginnen mit 697 000 und Gastroenterologen mit 672 000 Franken. Diese Medianlöhne dürften heute noch höher liegen.

Das Problem: Wo die Fachärzt:innendichte hoch ist, also in urbanen Räumen und Städten, steigt die Prämienlast. Wobei die Nachfrage von den Leistungserbringern getrieben wird. SGB-Gesundheitsexperte Wyss sagt: «Die privaten Zusatzversicherungen führen dazu, dass zu viele unnötige Operationen durchgeführt werden, beispielsweise in der Orthopädie; die Operationen selbst gehen zulasten der Grundversicherungen.» Wer also nur grundversichert ist, bezahlt die unnötigen Operationen mit. Im Grundsatz, so Wyss, könnten die Ärzt:innen «so viele Leistungen abrechnen, wie sie wollen, es gibt keine Transparenz. Im Spitalbereich könnten die Kantone diese Mengenausweitung mit Globalbudgets und Leistungsvereinbarungen in den Griff bekommen.» In Genf, in der Waadt und im Tessin werde dies bereits so gehandhabt.

Wyss verweist zudem auf die zu hohe Spitaldichte. Pro Region ein Spital plus Gesundheitszentren, das sei wohl die Zukunft. Das dänische Gesundheitswesen, das bereits so organisiert ist, zeigt: Auch damit können unnötige Kosten verhindert werden. In Dänemark gibt es nur noch zwölf Spitäler – ohne dass die Versorgungsqualität darunter leiden würde.

Derweil fehlt es hierzulande besonders in den ländlichen Gebieten an Hausärzt:innen und damit an der Grundversorgung. Die SP fordert deshalb, dass Fachärztinnentarife gesenkt und die Tarife der Hausärzte angehoben werden. Sie will die Profitorientierung im Gesundheitswesen stoppen und bei den Leistungserbringern mehr Transparenz schaffen.

Das Kassenproblem

Die Sozialdemokrat:innen denken ausserdem über die Abschaffung des «Pseudowettbewerbs» zwischen 57 Krankenkassen in der Grundversicherung nach. Das spare massiv Verwaltungs- und Werbekosten. Regionale oder kantonale öffentliche Krankenkassen sollen das ermöglichen. Von solchen erhofft sich die Partei zudem eine Stärkung der Prävention, was weitere Kosten senken würde. Unterbinden will die SP schliesslich auch den parlamentarischen Lobbyismus: «Sämtliche Mitglieder des Parlaments, oder zumindest der Gesundheitskommission, dürfen keine Mandate im Gesundheitsbereich führen.»

Nur: Solange diese Forderung nicht umgesetzt werden kann, dürften es auch andere Vorstösse zur Senkung erwiesenermassen unnötiger Kosten schwerhaben.