Leser:innenbriefe

Nr. 44 –

Zu den Wahlen

Sprüche wie «Für eine sichere Zukunft in Freiheit» der SVP suggerieren den autoritätsgläubigen Schweizer:innen, wie einzigartig wir auf der Welt sind, eigentlich ein auserwähltes Volk. Wohlstand und Reichtum stehen uns zu, schliesslich chrampfen wir täglich dafür. Dass in vielen Berufen, vor allem schlecht bezahlten, unerwünschte Ausländer:innen dies tun, blenden wir aus. Diese seien ja vor allem Sozialschmarotzer:innen, welche hier in unserem Land nichts zu suchen hätten.

Je nach Kanton oder Gemeinde sind über fünfzig Prozent der Stimmbürger:innen dieser Meinung, wie die Wahlen wieder bestätigen. Kommt dazu, dass der neutralen Schweiz mitten in Europa unsere Nachbarn doch zu Dank verpflichtet sein und endlich begreifen sollten, dass die Forderung nach Solidarität eine Zumutung ist, so die SVP. Dazu goutieren die Sympathisant:innen offenbar auch den verständnisvollen Umgang ihrer Partei mit Despoten wie Putin, Xi Jinping et cetera.

Unangenehm nur, dass die Schweiz als Land ohne Rohstoffe mit dem Klimawandel bald ohne Gletscher und damit ohne Wasser sein könnte.

Parteien, welche dies zu thematisieren wagen und Konsequenzen fordern, werden abgestraft. Dafür macht die bürgerliche Politik Bücklinge in alle Richtungen, wo Geld zu holen ist.

Beat Schuler, Jona

Wasserkraftbauten angehen

«Gletschervorfelder: Kann das weg?», WOZ Nr. 42/23

Die Fotos im Artikel sind ausgezeichnet. Aber der Text dazu irritiert. Zudem ist die Frage im Titel schief. Und das aus folgenden Gründen: Gletschervorfelder, aber auch Felssturzgebiete, Schutthänge, Moränenzüge, Blockgletscher etc. werden von Pionierpflanzen besiedelt und verändern dann mit der Zeit ihre Artenzusammensetzung («natürliche Sukzession»).

Die Klimaerwärmung intensiviert diese Dynamik im Hochgebirge seit Jahrzehnten, im Wesentlichen auf zwei Arten: Sie vergrössert die zu besiedelnden Flächen, weil die Gletscher sich zurückziehen und dadurch neue Gebiete für die Sukzession frei machen. Und sie verlängert die Vegetationszeit und beschleunigt damit die Sukzession. Wir brauchen also Gletschervorfelder nicht zu schützen. Sie entwickeln und verändern sich ohne unser Zutun; was vorne zuwächst, entwickelt sich hinten neu. Wir dürfen zudem ohne schlechtes Gewissen die erwähnten Wasserkraftbauten angehen. Die einzustauenden Flächen sind schon lange mehrfach kompensiert. Und die wunderbaren Pionierpflanzen auf den Fotos können wir auch in Zukunft in der Natur beliebig geniessen.

Christian Sieber, Tagelswangen

Voreingenommenheit

«Judith Butler: Auf dem Schlachtfeld der Gedanken», WOZ Nr. 43/23

In einem Meinungsbeitrag auf Al Jazeera beschreibt der kenianische Autor Patrick Gathara die Schwachstellen westlicher Berichterstattung zum Gazakrieg. Objektivität von Journalist:innen sei nie absolut, sondern hänge eng mit den Werten und der Kultur der Gesellschaft zusammen, in der sie lebten. Wenn Medien in der Schweiz die umfassenden Analysen von Israel als Apartheidregime nicht zur Kenntnis nehmen wollen, zu denen namhafte Völkerrechtler:innen, auch mit jüdischem Hintergrund oder eigenen Apartheiderfahrungen, beigetragen haben, wird aus Butlers Verweis auf die Apartheid kurzerhand ein «verkürzter Verweis».

Die gleiche Einseitigkeit wiederholt sich bei der Kritik, Judith Butler stelle den Beginn palästinensischer Unterdrückungserfahrung in den Kontext der Vertreibung ab der Staatsgründung Israels (circa siebzig Jahre) und nicht in den europäischer Judenverfolgung. Was Gathara als «Versagen westlicher Medien» im Umgang mit Opfern und Ursachen konstatiert, sagt seiner Meinung nach mehr über den Westen als über die Ereignisse vor Ort aus. Der Beitrag über Judith Butler ist ein schöner Beleg für solche westliche Voreingenommenheit.

Birgit Althaler, Arlesheim