Leser:innenbriefe

Es fehlen Elemente
«Tigray: Risse im Frieden», WOZ Nr. 43/23
Ein lobenswertes Wagnis, in Tigray zu recherchieren, und sehnsüchtig erwartet: Endlich Nachrichten aus Tigray – bekanntlich lange gesperrt für Journalisten, da Kriegsgebiet und mangelndes Vertrauen der Regierung in neutrale Berichterstattung. Ein Stück weit verständlich – da Tigriner während der Regierungszeit der TPFL mehrheitlich die guten Auslandsposten besetzten, übertreffen ihre Netzwerke im Ausland jene der jetzigen Regierung bei weitem. Der Artikel ist auch gut gemacht – ausser dass er sich eben auf tigrinische Gesprächspartner beschränkt und beispielsweise keine Afar einbezieht, deren Gebiet von der TPFL überfallen wurde im Versuch, nach Addis Abeba vorzustossen. So wird im Grunde eine einseitige Opfersaga aufgemacht, welche die TPFL einschliesst. Belagerung und Abschneiden der Zulieferrouten ist eine uralte Kriegstechnik. Dass dabei Hunderttausende verhungert sind, war offensichtlich auch der TPFL-Militärführung egal. Die «Risse im Frieden» dürften auch vom Verriss durch die TPFL-Getreuen stammen.
Und im historischen Abriss fehlen leider zwei kleine Elemente, die eine Ausgewogenheit brauchen würde: Die Eritreer haben nicht nur 2021/22 mit den Regierungstruppen gekämpft – sondern schon im Feldzug 1991 mit der damaligen TPFL gegen die Regierung Mengistu, die sie zu Fall gebracht haben. Später allerdings griff die TPFL Eritrea in einem Grenzkonflikt an. Die Friedensverhandlungen legten schliesslich eine Grenze fest, der aber die TPFL keine Folge leistet. Sie hielt die Ebene um Badme bis 2021 besetzt und verweigerte dem Friedensschluss zwischen Abiy und Afewerki Gehör … Womit ich, in Unkenntnis der heutigen Sachlage, nicht sage, dass die Eritreer jetzt «nur» eigentlich ihnen zugeschriebenes Territorium weiter besetzen. Ähnliches gilt wohl auch im Streit zwischen Amharen und Tigrinern um die Westgebiete, die von beiden Bevölkerungsgruppen bewohnt werden.
Susy Greuter, per E-Mail
Unbeschönigt berichten
«Krieg in Nahost: Der Schweiz fehlt eine Strategie», WOZ Nr. 44/23
Der Schweiz, und wie es scheint auch der WOZ, fehlt nicht nur eine Strategie, sondern eine klare Positionierung zu den Massakern, die die israelische Regierung im Gazastreifen vollführt. Dass ihr in eurem Fronttext die israelischen Opfer als ermordet beschreibt, während die Palästinenser:innen «der kriegerischen Eskalation zum Opfer gefallen» sind, verwischt nicht nur Informationen, sondern klingt, als hätten nicht alle Opfer gleich viel Gewicht. Die Feigheit dieser Aussage ist kaum zu überlesen.
Den Krieg, den die israelische Regierung gegen die Palästinenser:innen führt, als «Reaktion auf den Hamas-Terror» zu bezeichnen, klingt nach Verdrängung; dass sie den Tod unschuldiger Menschen «in Kauf nimmt», ebenso.
Klar, dass die Lage im Gazastreifen für einen Grossteil der Schweizer Bevölkerung unvorstellbar ist. Wäre das nicht Grund genug, unbeschönigt über die Lage zu berichten und euch klar zu positionieren?
Patricia Wyler, per E-Mail
Milder oder radikaler?
«Agrarpolitik: Jenseits des Hickhacks», WOZ Nr. 44/23
Der Einsatz für eine gerechte Landwirtschaft und mehr Tierrechte ist Meret Schneider sicher hoch anzurechnen. Dass sie aber wenig erreicht hat, ist meines Erachtens ihrer zögerlichen Art und zu grossen Kompromissbereitschaft zuzuschreiben. Selbst die in ihrer Legislatur zur Abstimmung gekommene Tierversuchsverbotsinitiative hat sie nicht nur ignoriert, sondern wegen angeblicher Radikalität bekämpft, obwohl das Ziel einer totalen Versuchstierbefreiung sicher auch in ihrem Sinn gewesen wäre. Ihre stete Theorie, dass radikale Vorstösse mildere von ihr blockieren, lässt sich mit dem sogenannten Radikalenparadoxon widerlegen. Es besagt, dass es mildere Vorstösse nach einem abgelehnten radikaleren sogar einfacher haben. Aber das ist der einzige Kritikpunkt, es ist für die Tiere zu hoffen und auch damit zu rechnen, dass sie es bald wieder in den Nationalrat schafft.
Renato Werndli, Eichberg