Wichtig zu wissen: Studieren vor dem Demonstrieren

Nr. 46 –

Ruedi Widmer über Romantik, Taktik, Tragik

Ich besuchte die Ausstellung «Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik» in Winterthur, weil ich Friedrichs Bilder toll finde und gern ihre Farben studiere. Ich sage Ja zum romantischen Blick. Nur beschlich mich bei einigen Bildern das Gefühl, dass sich daran auch das Herzelein der ebenfalls aus der weiteren Friedrich-Gegend stammenden Nazilichtgestalt Björn Höcke (AfD) erquicken würde – das fand ich dann doch sehr unheimlich.

Die Regierung Sunak in Grossbritannien holte Anfang Woche den ehemaligen Premier David Cameron als Aussenminister zurück. «Wir haben es geschafft, ihn zurückzuholen», heisst es, wenn Ärztinnen einen Menschen, bei dem der Puls verschwunden ist, wieder unter die Lebenden bringen können. Die britischen Ärzte holen in den nächsten Tagen auch folgende Personen zurück: Margaret Thatcher (als Innenministerin), Queen Elizabeth II (als Königin) und natürlich die Publikumslieblinge Lady Diana Spencer (Kulturministerin), John Lennon (Friedensminister) und Brexit-Manipulator Nigel Farage als Konsul in den Kolonien (er übt jetzt schon im Dschungelcamp).

Der Nachfolger des (leider) Antisemiten Jeremy Corbyn bei Labour, Keir Starmer, steht hinter Israel, aber Teile seiner Partei hinter den Palästinenser:innen. Das zerreisst die Labour-Partei, just vor den Wahlen im nächsten Jahr, und erhöht die Hoffnung der moralisch völlig ausgehöhlten Torys, mit ein paar Zurückgeholten (warum nicht auch noch Tony Blair oder Boris Johnson?) ihre Chaotenpolitik nochmals um fünf Jahre verlängern zu können.

Diese Dahintersteherei wird derzeit von jedem zweiten Menschen der Welt praktiziert. Die Schweizer Labour-Politiker Carlo Sommaruga oder Fabian Molina stehen tendenziell eher hinter den Palästinenser:innen, während der Zuger Erziehungsdirektor Stephan Schleiss (SVP) oder der Zürcher Ex-SP-Regierungsrat Mario Fehr hinter Israel stehen. Marine Le Pen (France) steht jetzt, taktischer Schachzug, auch hinter Israel und sagt sich vorübergehend los von ihrem antisemitischen Papa, in der Hoffnung, vom tendenziell muslimfeindlichen Wahlvolk 2027 zur ­Grande Dame des europäischen Faschismus geschlagen zu werden. Doch dann dürfte Björn Höcke bereits Thüringens Ministerpräsident sein, oder gar Kanzler, und Trump US-Präsident, beide zurückgeholte Hitlers, wenn man ihre jüngeren Äusserungen anhört (man müsse in Deutschland mit «wohltemperierter Grausamkeit» den «Stall ausmisten» bzw. Trumps politische Gegner seien «Ungeziefer»).

Ich selber weiss gar nicht mehr, wo es für mich überhaupt noch Platz zum Dahinterstehen hat.

Ich weiss aber, dass ich garantiert nicht hinter der Hamas stehe. Da klebt inzwischen leider ein Teil der einstigen Fridays-for-Future-Bewegung, allen voran Greta Thunberg, und wir hatten einst Gemeinsamkeiten, aber das ist auch etwas verflogen in letzter Zeit. Ich mag mich erinnern, dass zu Beginn von 2023 in Zürich noch Tausende gegen die Mullahs in Teheran demonstrierten und für die Freiheit der iranischen Frauen. Bei aller Sorge angesichts des unermesslichen Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung: Die Sprüche, die nun an den Palästinademos gerufen werden, sind nichts anderes als die globalpolitischen, religiösen Machtträume der Mullahs im Iran, Israel vernichten zu können, und nützen den palästinensischen Menschen rein überhaupt nichts. Und den Frauen in Gaza und im Iran noch weniger.

Mit Sicherheit kann man wohl nur eines sagen. Gar nichts macht man falsch, wenn man hinter den jüdischen Menschen steht. Jenen, die nun auf der ganzen Welt bedroht werden, einfach weil sie Jüd:innen sind. Auch 78 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust hat der Antisemitismus nichts auf der Welt zu suchen.

Zu allem Überdruss fehlt in dieser Kolumne: Wladimir Putin.

Ruedi Widmer ist Cartoonist und steht unter anderem hinter dem FC Winterthur.

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Kommentare

Kommentar von Philipp Horn

Do., 16.11.2023 - 18:38

Man kann gegen die Hamas sein ( zu recht!) & an der Seite der Junden stehen , aber auch an der Seite der Palästinenser.