Ausstellung: Die Weltsprache lebt an der Peripherie
In einem Städtchen mit rechtsextremem Bürgermeister hat Emmanuel Macron eins seiner Prestigeprojekte eröffnet: Die Ausstellung zur französischen Sprache ist geglückt, doch der Präsident kam bei der Einweihung nicht ohne Fauxpas durch.
Villers-Cotterêts ist eine Schlafstadt. Der wichtigste Arbeitgeber des Orts – noch vor Volkswagen – heisst «Grossparis», aus den Abendzügen steigen Trüppchen müder Pendler:innen. Die Gemeinde fristet, wie die ganze Region, ein Randdasein, fern der Dynamik der Hauptstadt und anderer Ballungszentren. Im ländlichen Département Aisne, an dessen südwestlichem Rand Villers-Cotterêts liegt, errang das rechtsextreme Rassemblement National (RN) letztes Jahr drei der fünf Parlamentssitze. Villers-Cotterêts selbst hat 2014 einen RN-Bürgermeister gewählt und diesen 2020 im Amt bestätigt.
Dieser Franck Briffaut ist ein Frontist alten Zuschnitts. Der ehemalige Fallschirmjäger stiess schon 1977 zum damaligen Front National, fünf Jahre nach dessen Gründung als Splitterpartei durch nostalgische Anhänger von Marschall Pétain, der Waffen-SS und der algerischen Ultras. Briffaut betreibt, zurückhaltender als viele Parteikameraden, eine klassisch rechtsextreme Politik: Streichung von Subventionen für die Menschenrechtsliga und für Schulen, die Arabisch lehren oder Stoffe, die den Islam oder die muslimische Kultur berühren; Ausgrenzung der Armen durch Einstellung des Schulbusverkehrs für Randviertel oder Quasiverdoppelung der Kantinentarife; im Übrigen fast völlige Untätigkeit. Und das, obwohl die Kassen gut gefüllt sind: Mangels Projekten übersteigen die Einnahmen die Ausgaben.
Spaziert man durch das Städtchen, frappiert sogleich, wie ruhig es darin ist. Viele Läden haben definitiv geschlossen; hier und da verfällt ein Haus. Die Arbeitslosenquote ist mit 18,5 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt. Mit dem Schloss von Villers-Cotterêts hat Staatspräsident Emmanuel Macron hier nicht nur ein Baudenkmal gerettet, sondern auch eine ebenso originelle wie ansprechende Institution geschaffen: die Cité internationale de la langue française, die von Macron unlängst feierlich eröffnet wurde.
Von Casanova bis Beckett
Eine Institution, die der französischen Sprache gewidmet ist, das klingt auf dem Papier eher kopflastig, verstaubt, dröge. Doch der 1200 Quadratmeter umfassende Parcours im Schloss entpuppt sich als verspielt, interaktiv, farbenfroh. Und regt dabei ganz zwanglos zum Nachdenken an. Unter dem Titel «Une langue monde» zeigt das erste Kapitel der Ausstellung, dass (und wie) die Weltsprache eine Sprachwelt für sich bildet. Von der Anziehungskraft zeugen die Werke von französisch schreibenden Autor:innen fremder Muttersprache, von Giacomo Casanova bis zu den Literaturnobelpreisträgern Samuel Beckett und Gao Xingjian. Aber auch die Illustrationen, die abessinische, chinesische oder persische Miniaturmaler zwischen 1828 und 1857 zu den berühmten Fabeln von La Fontaine anfertigten. Zeitlich geht die Schau bis zu den Anfängen der Kolonisierung zurück, als Sprache als Werkzeug der Unterwerfung diente. Heute leben mehr als sechzig Prozent der Französischsprechenden auf dem afrikanischen Kontinent.
Mit dem Erfindungsreichtum der Benutzer:innen des Französischen befasst sich das zweite Kapitel. Die französische Sprache sei, so die Ausstellungsmacher:innen, «eine Kreolisierung des Lateinischen auf keltischer Grundlage mit Anleihen bei den germanischen Sprachen – und bei allen Idiomen der Welt».
Die letzte Sektion schliesslich beleuchtet die vielen Modalitäten staatlicher Sprachpolitik. Den Anfang macht hier das Edikt von Villers-Cotterêts, benannt nach dem Schloss, auf dem es 1539 durch François I. unterzeichnet wurde. Es erhebt die französische Muttersprache («langaige maternel françois») gegen das Lateinische zur alleinigen Rechtssprache. Bis heute umstritten ist, ob diese «langaige maternel françois» einfach das Idiom der Île-de-France meint oder vielmehr jede der vielen Regionalsprachen auf dem Territorium des Königreichs. In ersterem Fall wäre das Edikt ein früher Akt der sprachlichen Zentralisierung. Diese betrieb dann die Erste Republik 1794 brachial mit einem Aufruf zur Auslöschung der regionalen Idiome. Seit der Nachkriegszeit hat der Staat hier eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen: Heute sieht er die 72 Regionalsprachen als Kulturerbe an, mithin als schützenswert.
Im Wandel begriffen
Der Parcours bildet ein Geflecht aus Stimmen, bewegten Bildern und Sprachspielen zum Mitmachen. Doch so bunt und kontrastreich die einzelnen Pinselstriche, so unzweideutig die Aussage des Gesamtbilds. Das Französische, genauer: die französischen Sprachen werden hier als weltoffen gezeichnet, als experimentierfreudig und in stetem Wandel begriffen. Also gerade nicht als das in der Galauniform vergangener Grösse mumifizierte Regelwerk aus Verboten und Verteidigungswällen, als das Vertreter:innen aus dem rechten und rechtsextremen Lager die Sprache gern instrumentalisieren. Das RN sowie grosse Teile von Parteien, die vor zwanzig Jahren noch als bürgerlich-liberal galten, wähnen die «identité française» durch «Überfremdung» bedroht; dialektale Formen des Arabischen bilden heute zahlenmässig Frankreichs zweite Sprache, was die Schau nur flüchtig, der dazugehörige Katalog dafür aber gleich viermal erwähnt.
Präsident Macron hätte sich bei der Eröffnung «seines» grossen kulturellen Bauprojekts also zu einem fehlerfrei absolvierten Parcours gratulieren können, wären ihm nicht auf der Zielgeraden zwei Fauxpas unterlaufen. Erstens stilisierte er in seiner Einweihungsrede Toussaint Louverture zur «Metapher» des Befreiungskämpfers, der die Sprache der Unterdrücker übernimmt und gegen diese wendet. Nur dass der Anführer der Revolution, die 1804 zu Haitis Unabhängigkeit führte, sowohl das Idiom seiner beninischen Vorfahren sprach als auch (und vor allem) Haitianisch-Kreolisch – aber nur brüchig Französisch. Seine Verlautbarungen diktierte Louverture auf «kreyòl ayisyen» europäischen Sekretären, die sie in die Sprache der Kolonialherren übersetzten. Bloss ein präsidialer Schnitzer? Gut achtzig Millionen Französischsprechende in der Karibik und in subsaharischen Staaten (zu denen die Beziehungen zurzeit ohnehin schon angespannt sind) sehen das wohl anders.
Macron und das Neutrum
Zweitens bezog Macron noch am selben Tag Stellung in der Diskussion um gendergerechte Sprache. Im Senat war kurz zuvor ein x-ter Gesetzesvorschlag zum Thema angenommen worden, der inklusive Sprache in juristischen Texten, Arbeitsverträgen, Gebrauchsanweisungen und so weiter verbietet. Im Französischen, beschied Macron, «übernimmt das Maskulinum die Rolle des Neutrums; man muss keine Punkte in der Mitte von Wörtern hinzufügen oder Bindestriche oder andere Sachen, um sie lesbar zu machen». Eine der angesehensten Sprachautoritäten des Landes, der 2020 verstorbene Lexikograf Alain Rey, hatte dagegen befunden, die französische Sprache besitze «zu ihrem Unglück» kein Neutrum: Die Kongruenz mit dem Maskulinum sei «eindeutig antifeministisch».
Wie auch immer man zu der Frage steht: Es ist weder an einem Präsidenten noch an einem Parlament, den Sprachgebrauch zu regeln. Benutzer:innen bestimmen selbst, was sich durchsetzt und was verschwindet.