Im Affekt: Jesus kippt Shots und entschuldigt sich

Nr. 3 –

«Is he ’bout to give ’em something viral?», singt der Chor zu Beginn, und dann singt Lil Nas X die rhetorischste aller Fragen gleich selber: Gibt er uns wieder einen viralen Hit? Der Rapper hat den Umgang mit Medien und den Mechanismen im Pop schon immer genau verstanden. Auf den ersten Riesenhit, den Schwarzen Country-Rap-Mash-up «Old Town Road» von 2019, folgte die queere Bildorgie zum Debütalbum «Montero». Letzte Woche dann kündigte er in den sozialen Medien seine neue Single an – jenem Mann gewidmet, der «das grösste Comeback aller Zeiten» hatte.

«J Christ» ist ein unverschämt guter Song mit ziemlich hottem Video: Lil Nas X stöckelt als Engel mit «Sex»-Goldhalsband durch den Himmel, kocht in der Rolle des Teufels in der Hölle eine Suppe, aus der weisse Arme und Beine ragen, schlägt, zurück im Himmel, den Teufel beim Basketball, hängt vor einer ihm zujubelnden Menge am Kreuz und beschwört schliesslich die Sintflut, um auf der Arche in den Morgen zu fahren. Alles sehr plakativ – und sehr lustig, wie hier der schwule Bruch mit dem Männlichkeitsgehabe von manchem Rap mit einem Heilsbringermotiv verknüpft wird.

Wer jetzt sagt, sich über das Christentum lustig zu machen (oder es für seine Zwecke zu nutzen), sei abgedroschen und im Pop sowieso nichts Neues, hat natürlich recht. Auch Lil Nas X bedient sich nicht zum ersten Mal christlicher Symbole; im Video zu «Call Me by Your Name» gab er, aus dem Garten Eden in die Hölle gefallen, dem Teufel einen Lapdance. Trotzdem kann man so offenbar immer noch viele Leute wütend machen – wenig überraschend gerade auch in Kreisen, die keine Mühe damit haben, in einem ganz anderen Typen den Messias zu sehen. So viele, dass sich Lil Nas X nun in einem Video entschuldigt hat – für das Video zu «J Christ» und auch für jenen Clip auf Social Media, in dem er, als Jesus verkleidet, Shots kippt und dazu einen Teller Hostien verschlingt. Traurig, dass das offenbar nötig ist. Sagt er es doch so schön in «J Christ»: «You know how I play, it’s all for games.»

Und die Sintflut? Gibt grad noch Gelegenheit, wie eine Nuller-Jahre-Boyband im Regen zu tanzen. Mit Hüftjeans wie damals, nur queerer.