Leser:innenbriefe

Nr. 4 –

Ruf nach Verantwortung

«Biden, Trump oder …? Die Wahl der Rache», WOZ Nr. 3/24

Es sind interessante Ausführungen im Artikel zum US-Wahlkampf. Allerdings scheint mir der Ansatz des «Gegengifts» gegen die Rachegelüste der Rechten zu stark im Christlichen verwurzelt zu sein. Ich würde dem Rachegedanken weniger den Ruf nach Vergebung entgegensetzen als vielmehr den nach Verantwortung – nicht die liberale Eigenverantwortung, die das Ego vor die Verantwortung schiebt und damit der Frage nach Verantwortung unwillkürlich ausweicht, sondern die Verantwortung als Fähigkeit des Menschen, die Auswirkungen des heutigen Handelns auf die Zukunft mindestens ansatzweise abschätzen zu können.

Dann gäbe es auf Fragen wie «Wollen wir den Menschen, die in 500 000 Jahren leben, wirklich aufbürden, noch unseren Atommüll bewachen zu müssen?» doch eine klare Antwort: Nein! Oder anders: «Wollen wir wirklich den kostbaren Rohstoff Erdöl zu Auspuff und Kamin hinausblasen? Könnten zukünftige Generationen daraus nicht etwas Schlaueres machen (mal ganz abgesehen von den Folgen fürs Klima)?»

Niklaus Baltzer, Bern

Zunehmend rätselhaft

«Genozid: Das Verbrechen aller Verbrechen», WOZ Nrn. 51+52/23

Habt ihr mal analysiert, wie viele Palästinenser:innen oder Araber:innen und wie viele Israeli oder Jüd:innen in der WOZ zu Wort gekommen sind seit dem 7. Oktober 2023? Oder haben Zugehörigkeit oder Gefühle der Nähe zu einer Partei überhaupt keinen Einfluss auf die Berichte und die Meinungsbildung?

Nun zum erwähnten Genozidartikel: Der Genozidvorwurf wird nicht nur von «linken Intellektuellen des progressiven Wissenschafts- und Kulturbetriebs» und von «Teilen der Klimabewegung» erhoben, sondern auch von Vertreter:innen der Uno, von renommierten NGOs und von unverdächtigen Forscher:innen wie etwa dem israelischen Genozidforscher Raz Segal. (Die Meinung der Palästinenser:innen lassen wir mal beiseite, denn die zählt ja nicht.) Das bedeutet für sich genommen natürlich noch nicht, dass der Vorwurf zutrifft. Aber es ist schon schräg, wenn ein WOZ-Artikel den Genozidvorwurf in Zweifel zieht, ohne sich auch nur ansatzweise mit den dokumentierten Erklärungen und Handlungen der israelischen Regierungs- und Armeevertreter auseinanderzusetzen.

Amr Abdelaziz, per E-Mail

Es ist nicht meine Aufgabe, genaue Statistik über alle Artikel der letzten Woche zu führen. So langsam frage ich mich aber ernsthaft: Wie viele Palästinenser:innen sind eigentlich in den letzten Wochen zu Wort gekommen? An welcher Stelle genau wurde in den letzten Ausgaben das schiere Ausmass der israelischen Kriegsverbrechen im Gazastreifen benannt? In welchem Leitartikel wurde die nackte, so fassungslos machende Zahl an getöteten Kindern und Frauen wenigstens einmal ausgeschrieben? Und was ist mit den getöteten Journalist:innen?

Stattdessen brillieren Sie mit einem Hintergrundartikel, wo vom Vorwurf des Genozids «insbesondere von linken Intellektuellen des progressiven Wissenschafts- und Kulturbetriebs» die Rede ist. Da frage ich mich als Leser: Hoppla, habe ich zu einem Blatt im Dunstkreis der Mitte oder der FDP gegriffen? Oder wie ist es sonst zu erklären, dass ein derart diffuses gegnerisches Lager aufgebaut wird – das zudem noch in einem Wissenschaftsbetrieb verortet wird, der doch womöglich etwas dazu zu sagen haben könnte?

Die Haltung der WOZ ist mir zunehmend rätselhaft. Was daran liegen mag, dass ich zum Dunstkreis jener gehöre, die Sie neuerdings «linke Intellektuelle des progressiven Wissenschafts- und Kulturbetriebs» nennen und die sich daher womöglich besser nach neuen Publikationen umsehen sollten.

Joël László, Basel