Leser:innenbriefe
Danke!
Diverse Texte in WOZ Nr. 4/24
Diese Ausgabe Nr. 4 ist Extraklasse: Der Essay von Daniela Janser, die Interviews mit Tomer Dotan-Dreyfus und Angelika Hilbeck, die längere Reportage über die Punks von Kathmandu, die kurzen Reportagen von so unterschiedlichen Orten wie Oberried, Rojava und Baschkortostan, der Bericht über die Milo-Rau-Opernpremiere in Genf und dazu dann noch alle Artikel zu den aktuellen politischen Ereignissen … Die Dichte an differenzierten, spannenden, gut recherchierten und in die Tiefe gehenden Artikeln auf diesen bloss 28 Seiten ist unglaublich.
Ich wüsste nicht, wer im deutschen Sprachraum euch im Moment das Wasser reichen könnte. Ich bin seit einer gefühlten Ewigkeit WOZ-Abonnent und fühle mich daher legitimiert, sagen zu dürfen, dass ihr euch aktuell und schon seit einigen Jahren auf einem konstant sehr hohen Niveau bewegt. Da wollte ich euch mal herzlich Danke sagen.
Bernhard Herold, Rüttenen
Widmer wird ernst
«Wichtig zu wissen: Diktatur Lonsenbach», WOZ Nr. 4/24
Ich bin sehr froh, dass Ruedi Widmer (einer unserer besten Karikaturisten!), der in seiner Rubrik gelegentlich auch kalauert und Witze reisst, bei diesem Thema sehr ernst ist: Er spricht das Paradox an, dass sich Menschen in der Schweiz einerseits überall beengt, bedrängt und gegängelt fühlen, sich andererseits aber nach einer Diktatur sehnen.
Ich bin ihm dankbar, dass er konsequent zu Ende denkt, was Leute wie Donald Trump und andere Rechtspopulisten zwar ankündigen, was ihnen aber offenbar niemand glaubt: Dass nach der «Remigration» der Ausländer ganz andere Saiten aufgezogen werden, sodass die ehemaligen Wähler:innen … Man kennt ja noch von früher den Spruch «Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber», der offenbar nicht von Bertolt Brecht, sondern von einem anonymen Zürcher Wähler stammt, der ihn 1874 auf seinen Stimmzettel schrieb.
Dieser Satz gilt nach wie vor.
Dieter Kuhn, Zürich
Auge um Auge
«Biden, Trump oder …? Die Wahl der Rache», WOZ Nr. 3/24
Die in diesem Artikel zitierte Stelle aus der jüdischen Bibel, «Auge um Auge, Zahn um Zahn», wird leider immer noch überwiegend missverstanden, was auf die christliche Interpretation zurückzuführen ist. Nach christlichem Verständnis geht es hier um Rache. Wird einer Person ein Auge ausgeschlagen, darf diese dem/der Täter:in aus Vergeltung ebenfalls ein Auge ausschlagen. Diese Interpretation entsprach bis ins 20. Jahrhundert hinein dem christlichen Verständnis vom jüdischen Gott als einem Rachegott.
Nach jüdischer Tradition geht es in dieser Passage jedoch um Entschädigung. Es heisst in Exodus 21,24–26: «Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuss für Fuss […]. Wenn jemand das Auge seines Knechtes oder das Auge seiner Magd schlägt und es zerstört, muss er ihn in die Freiheit fortgehen lassen für sein Auge.» Nach rabbinischem Verständnis bedeutet dies, dass bei Körperverletzungen die Person, die den Schaden verursacht hat, der geschädigten Person einen Schadensersatz zahlen muss.
Kerstin Paul, Zürich
Tierutopie
«Landwirtschaft: ‹Dieses System hatte nie das Wohl der Bauern im Sinn›», WOZ Nr. 4/24
Digitalisierung und Gentechnik sind sicher ein Grund für die Probleme in der Landwirtschaft. Aber viel schlimmer ist der Trend zu Tierprodukten.
Heute beginnt die Politik, endlich etwas Gegensteuer zu geben. Aber es sind immer noch achtzig Prozent der Subventionen, die für Tierprodukte bezahlt werden. Sollte wirklich eines Tages eine rein pflanzliche Landwirtschaft Wirklichkeit werden, wären viele Probleme gelöst: Die Verfügbarkeit von Ackerland, da heute sechzig Prozent für Tierfutter verloren geht. Die Stickstoffbelastung durch viel zu viel Gülle, die durch die Kraftfutterimporte massiv zugenommen hat. Und vor allem endlich keine Gewissensbisse für die Landwirt:innen mehr, die einerseits ihren Beruf aus Tierliebe gewählt haben, andererseits nun sicher darunter leiden, dass sie ihre empfindsamen Tiere als eigentliche Produktionsmaschinen missbrauchen müssen.
Sie sehen ja tagtäglich, dass das herrschende System die Utopie von glücklichen Tieren und humaner Haltung und Schlachtung zerbricht bei einem Blick hinter die Kulissen der Tierindustrie.
Renato Werndli, Eichberg
Griffiges Gesetz?
«Gleichstellung: Basel-Stadt rückt ein Feld vor», WOZ Nr. 3/24
Der Redaktor versucht das neue baselstädtische Gleichstellungsgesetz ausgewogen zu kommentieren. Er zitiert auf der einen Seite zwar eine feministische Kritikerin und hinterfragt die Aussagen eines EVP-Politikers und Anwalts. Intensiv beschäftigt sich der Artikel dann aber auf der anderen Seite mit den Argumenten von Befürwortern aus FDP und GLP, die sich allerdings uneinig sind, ob das Gesetz nun bloss symbolische Wirkung habe oder die Diskriminierung von Queers beseitigen könne. Der Autor kommt zum Schluss, dass das Gesetz den Weg zu einer nonbinären und damit gerechteren Gesellschaft ebnen könnte.
Es entsteht der Eindruck, der Grosse Rat von Basel-Stadt habe ein Queergesetz geschaffen, in dem die Gleichstellung Frau/Mann mitgedacht ist.
Das verabschiedete Gesetz ersetzt nun aber einen Erlass, der die Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben bezweckte mit dem entsprechenden Auftrag an die Verwaltung. Dieser Auftrag wurde nie zur Selbstverständlichkeit, entsprechende Vorstösse kommen stets von links und werden von bürgerlicher Seite abgeschmettert. Logisch, ein Einkommensrückstand von Frauen gegenüber Männern von vierzig Prozent, begleitet von Frauenarmut, mit Bildungs- und Gesundheitsrisiken für die Kinder, stört nicht in einer Gesellschaft, in der die Interessen des Kapitals generell vor sozialer Gerechtigkeit kommen.
Für alle Ungeduldigen, die nicht auf den Tag X warten können, an dem ein in der ganzen Gesellschaft verankertes neues Geschlechterverständnis alle Ungleichheiten, auch die sozialen, löst, braucht es ein griffiges Recht, das die Probleme nennt und der Verwaltung die entsprechenden Umsetzungsinstrumente gibt. Und da meine Frage: Was bringt das Gesetz in dieser Hinsicht?
Susanne Bertschi, Basel