Wichtig zu wissen: Diktatur Lonsenbach
Ruedi Widmer mit etwas Waschküchenphilosophie
Was die rechtspopulistischen Parteistrateg:innen Deutschlands und der Schweiz wollen, kommunizieren sie klipp und klar: eine Unterwerfung gegenüber Putins Grossrussland und der KP Chinas, die Umbenennung der deutschen Bundesländer oder der Schweizer Kantone in «Oblaste», Wodka statt Wein, Zerstörung statt Aufbau, Gewalt statt Wettbewerb und Apathie vor dem Partei-TV statt demokratisches Leben; die Macht über alle und jeden von uns.
Was aber die Wähler:innen dieser Parteien wollen, ist mir schleierhaft. Das Paradox, dass sich ein grosser Teil dieser Menschen in der Schweizer Demokratie wie in einer Diktatur fühlt, aber sich nach einer sehnt (etwa Ueli Maurer), ist unerklärlich. Oder vielleicht doch nicht ganz.
In ihrer Erfahrung, stets zu bekommen, was sie verlangen, in ihrer hochkonjunkturell antrainierten Überindividualisierung, die sie jede Gefühlsregung zu einem nationalen Ereignis hochstilisieren lässt, verlangen sie quasi eine Diktatur für sich selber; sie sind alle Diktator:innen in ihrer kleinen Welt, wo sie Nachbar:innen beschimpfen dürfen, in der Migros auch einfach mal was mitnehmen, ohne zu bezahlen (keine Lust, anzustehen), und auf der Strasse so schnell fahren, wie sie wollen. Dabei sind sie aber sehr empfindlich, wenn ihnen andere Diktaturen in die Quere kommen, etwa die von Frau Lonsenbach in der Waschküche oder jene von Diktator Bäggimann aus dem oberen Stock mit seiner lauten Musik, und überhaupt: Was hat man sonst vom Leben, und den Ausländer:innen wird eh alles geschenkt, und es muss endlich knallen und so.
Donald Trump lebt ihnen den Kampf gegen die anderen Diktaturen vor. In den USA verspricht er den Leuten, für jede ihrer eigenen kleinen Diktaturen der Schutzengel zu sein.
Die Parteikader sprechen mit ihren Wähler:innen nicht ernsthaft über Sozialpolitik oder Wohlstandssicherung und andere wichtige Sachen, sondern sie trampeln in deren zerrütteten Gefühlen herum, sie schimpfen über Benzinpreise und Ausländer:innen (an denen sie selber verdienen) und Windräder (an denen sie nichts verdienen); ein zusammenhangloses Gejammer, das nichts mit den Gestaltungsmöglichkeiten von Politik zu tun hat.
Und so erfahren die Wählenden nicht, dass AfD und SVP eine knallharte neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgen, die noch viel mehr Einwander:innen anziehen müsste, als sie eh schon angezogen hat, und sie merken nicht, dass – nach den Deportationen der Ausländer:innen – sie selber es sein werden, die diese Sklavenarbeit erledigen müssen. Die AfD-Granden möchten, dass ihnen biedere deutsche Michels ihre Villenböden bohnern und nicht irgendwelche Dunkelhäutigen. Eigentlich ein klassisches Verschwörungsepos: «Die AfD will die Ausländer:innen nur weghaben, damit wir Deutschen diese miserablen Jobs machen müssen, damit wir die 96-Stunden-Woche abarbeiten müssen, weil die AfD uns Deutsche für 75 Jahre Bundesrepublik und Demokratie bestrafen will.» Daraus liessen sich wunderbare Websites und Telegram-Gruppen spinnen, mit denen man manche AfD Wählende zurückgewänne.
Deshalb ist auch die «Correctiv»-Recherche so wichtig, denn sie zeigt die wahren gewalttätigen Absichten dieser vermeintlichen Patriotinnen und Konsumentenschützer auf, und das treibt endlich die Hunderttausende Erstdemonstrant:innen auf die Strassen. 2014 schrieb ich in einer Kolumne: «Und auch deshalb werden faschistische Strukturen in der heutigen Parteipolitik in Abrede gestellt; weil Rechtsradikalismus etwas von ‹früher› ist und für viele Wähler:innen allenfalls bei Mord beginnt statt schon bei Ausgrenzung, Propaganda, Sprachduktus oder der Verhöhnung demokratischer Institutionen.»
Jetzt, wo es in Deutschland tendenziell auf Mord zugeht, wachen die Leute auf.
Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.