Im Affekt: Im Paradies zwischen null und eins
Wenn die SRF-Moderatorin völlig selbstverständlich mit der Existenz einer nonbinären Person umgehen kann, auch sprachlich, darf man leise hoffen, dass nicht alles schief ist. Zum sonst eher biederen Anlass des «Musicstar»-Revivals im März kündigte sie Nemos «The Code» als Live-Weltpremiere an – jenen ESC-Song, der bei den Wettbüros seit Wochen als Favorit gilt. Begeisterte Porträts vom Feuilleton bis zur Klatschpresse beschwören einen möglichen Sieg der Schweiz am Eurovision Song Contest, 36 Jahre nach Céline Dion. Gerade passiert also der halben Schweiz das, was 2016 schon Luc Oggier von Lo & Leduc und Greis anzusehen war: Als Nemo mit sechzehn Jahren beim Virus Bounce Cypher zwei Tracks vortrug und die Gesichter der alten Szenegrössen immer freudiger wurden, weil das, was sie da hörten, kaum zu fassen war. So verdammt gut.
Man kanns auch jetzt kaum anders sagen: «The Code», komponiert und produziert von einer ganzen Brigade, ist ein verdammt guter Song; es passiert unglaublich viel in sehr kurzer Zeit, hält aber trotzdem zusammen. Und Nemo, so zeigt sich bei der Weltpremiere und weiteren Auftritten, trägt ihn auch live äusserst virtuos vor, von Rap bis Falsett. Vom Paradies zwischen den Nullen und den Einsen singt Nemo im Text, davon also, eine Möglichkeit gefunden zu haben, sich ein Leben fernab von Zweigeschlechtlichkeit einzurichten. Dass Nemo nonbinär ist, wird in der Öffentlichkeit zwar thematisiert, aber nicht exotisiert; kein Getöse, wie es sonst so häufig ausbricht, wenn es um die Existenz und die Rechte von trans und nonbinären Menschen geht. Auf einmal ist das alles normal – Nemo ist einfach Nemo, heisst es dann, «unser» ESC-Star.
Und was diesen seltsamen Wettbewerb angeht: scheissegal eigentlich, ob «die Schweiz» ihn gewinnt. Aber Nemo würde man es tausendmal gönnen.
«Ein Schweizer Publikum bei einer Standing Ovation», heisst es in einem Youtube-Kommentar unter dem «Musicstar»-Auftritt, «das allein erklärt den Hype.»