Ein Traum der Welt: Auf explosiver See
Annette Hug versucht, Nachrichten einzuordnen
Am vergangenen Wochenende hat vor der Sandbank Escoda beziehungsweise Sabina ein Schiff der chinesischen Küstenwache die philippinische «Teresa Magbanua» gerammt. Um solche Scharmützel besser beurteilen zu können, habe ich im Juli in Manila an einer Medieninformation des Onlinemagazins «Rappler» teilgenommen.
Viele Zusammenstösse drehen sich um das Wrack «Sierra Madre». Die philippinische Marine hat es 1999 auf einem Felsen in der Ayungin Shoal auflaufen lassen, um Präsenz zu markieren. China begann gerade, das benachbarte Mischief-Riff zu einem Stützpunkt auszubauen. Escoda, Ayungin und Mischief liegen nach internationalem Seerecht alle in der philippinischen Wirtschaftszone. Auf der verrostenden «Sierra Madre» sind heute circa zwölf philippinische Soldaten stationiert, die einmal im Monat mit Lebensmitteln versorgt werden müssen. Wann genau eine Versorgungsmission stattfindet, bleibt jeweils geheim, weil chinesische Schiffe versuchen, sie zu verhindern.
Bei «Rappler» habe ich folgende Eskalationsstufen mitbekommen: Zuerst waren Laserpointer (Februar 2023), dann Wasserkanonen (August 2023), eine erste Kollision (Oktober 2023), ein erster verletzter Filipino (März 2024), im Juni haben Mitglieder der chinesischen Küstenwache ein philippinisches Schiff geentert. Jetzt also wieder Kollision, wobei sich im August auch Videos viral verbreiteten, die Handgemenge zwischen Angehörigen der beiden Küstenwachen auf Schlauchbooten zeigen. Das Gefährlichste: Jetzt soll das chinesische Militär direkt involviert gewesen sein. Sonst sorgen beide Seiten dafür, dass zivile Einheiten wie Küstenwachen oder sogenannte Milizen aneinandergeraten, um den Interpretationsspielraum offenzuhalten. Handelt es sich beim neusten Vorfall nun um einen militärischen Angriff, der einen Krieg und damit das Eingreifen der USA, Japan und weiterer Bündnispartner der Philippinen zur Folge hätte?
Inzwischen haben die philippinische und die chinesische Regierung eine «Notfall-hotline» eingerichtet. Es soll jetzt möglich sein, dass die Aussenminister direkt miteinander sprechen, um bei Problemen eine Lösung zu finden.
In der Öffentlichkeit wird der Interpretationsspielraum von Handyaufnahmen der Ereignisse befeuert, offizielle Bilder gibt es kaum. Zudem kursieren in den sozialen Medien Fake News, die Angst schüren – mit KI-generierten Stimmen lassen sich Aussagen von Politiker:innen leicht vortäuschen. Um zu erläutern, wie die philippinische Seite in echt kommuniziert, benötigte Bea Cupin von «Rappler» fünf Folien: Für das Aussendepartement, die Streitkräfte, die Marine, die Küstenwache, den Präsidenten und zwei Taskforces listete sie je mehrere Sprecher:innen auf. Es gehe auch um Budgetfragen: Wer sich im Konflikt besonders vorteilhaft inszeniere, habe Chancen auf eine Erhöhung.
In die Vermutungen darüber, was auf chinesischer Seite ablaufen könnte, habe ich mich bisher nicht vertieft. Also sitze ich weiter ziemlich ratlos vor dem Video zweier Schiffe, die sich unsanft berühren, und würde lieber mehr über Teresa Magbanua nachlesen, Namensgeberin des lädierten Schiffs und Kommandantin aufständischer Truppen auf der Insel Iloilo, die zwischen 1896 und 1900 gegen spanische und dann auch US-amerikanische Kolonialtruppen kämpfte.
Annette Hug ist Autorin und nicht zur Kriegsreporterin berufen.