FDP im Wahlkampf: Und wo ist Travis?
Die Wahlen im Aargau machen die FDP nervös. Ihr nationaler Präsident schiebt die Partei hart nach rechts. Hilft das? Antworten aus Dottikon.
Die Nespresso-Maschine leuchtet betriebsbereit, der Zopf ist geschnitten. Jetzt müssten bloss noch die Leute kommen. «Ziemlich ruhig bislang», murmelt Denise Strasser, Listenplatz drei der FDP Bezirk Bremgarten, und dreht sich zum Eingang des Coops von Dottikon um. Die lokale FDP hat ihren Stand strategisch geschickt aufgebaut: wegelagernd an der Route zum Wochenendeinkauf.
Ein Monat noch bis zu den Aargauer Grossrats- und Regierungswahlen. Die Wahlen sind ein wichtiger Stimmungstest für die Parteien. Und gerade für die FDP ein Wegweiser: Geht es weiter nach unten – oder zumindest mal wieder geradeaus?
Die Anspannung ist bei den Freisinnigen zu spüren. In den letzten Wochen ist der Sound, der von der nationalen FDP-Parteispitze dröhnt, immer schriller geworden. «Die schiere Masse junger Männer aus muslimischen Ländern kann unsere freiheitliche Gesellschaft zersetzen», sagte FDP-Präsident Thierry Burkart in einem Interview mit der NZZ, in dem er das Steuer seiner Partei in der Migrations- und Asylpolitik scharf nach rechts drehte. Mit Worten, die nur als aufhetzend beschrieben werden können.
Freisinnige Evergreens
Burkart, ebenfalls aus dem Aargau, belässt es nicht bei der radikalen Rhetorik. Er kündigt an, die FDP-Fraktion werde im Nationalrat sämtlichen Forderungen der SVP zustimmen, die nächste Woche in der sogenannten Asyl-Sondersession behandelt werden. Vorschläge, die von der Errichtung von Internierungslagern in den Grenzregionen bis zur faktischen Abschaffung des Asylrechts reichen, indem etwa Geflüchtete, die über sogenannte sichere Drittstaaten einreisen, konsequent abgewiesen werden sollen. Die FDP als Filiale der SVP: Es ist auch der Sound der Selbstaufgabe. Hilft das im Wahlkampf?
In Dottikon AG versucht Denise Strasser, sich einen Reim auf Burkarts Aussagen zu machen. «Wir werden ja immer noch als Partei der Reichen wahrgenommen, vielleicht helfen uns klare Ansagen, ein anderes Profil zu bekommen», sagt sie, ohne der eigenen Interpretation so recht zu trauen. Ihr eigenes Profil hat sie auf kleinen Wasserflaschen festgehalten: Für nachhaltige Finanzen und für Eigenverantwortung tritt sie ein, freisinnige Evergreens.
Neben den Flaschen liegt ein Haufen Schokoladentäfelchen mit dem Gesicht von Roland Geier darauf. Auch Geier, Berufsschullehrer und Gemeinderat aus Oberlunkhofen, will in den Grossen Rat. Er setzt sich für eine Stärkung der Hausärzt:innen ein und glaubt, die FDP müsse eher der Mitte-Partei Konkurrenz machen als der SVP und sich also ins politische Zentrum bewegen. «Mit sozialliberalen Positionen …», setzt Geier an und bricht dann ab, als hätte er etwas Anrüchiges gesagt.
Irgendwie will es nicht so richtig laufen an diesem Samstagvormittag vor dem Coop in Dottikon. Kalt und düster ist es; ein Tag, der in der Nacht hängen geblieben ist. Müde schieben die wenigen Passant:innen ihre Einkaufswagen vorbei. Auch Burkarts Provokationen helfen nichts: Kaum jemand lässt sich ins Gespräch ziehen. Zeit genug am Stand, die Wahlkampfaktionen zu diskutieren. «Wo sind eigentlich die Jungfreisinnigen?», fragt jemand. «Die machen ihre Standaktionen digital», stichelt einer. Dann geht man alle Jungfreisinnigen der FDP Bezirk Bremgarten durch, Namen für Namen – und stellt fest, dass sich alle mindestens einmal für Wahlkampfaktionen eingetragen haben. Alle bis auf einen: «Und wo ist Travis?»
«Und wo ist der Silvan?», wundert sich Geier. Doch da kommt Silvan Hilfiker auch schon, er war noch beim FDP-Tisch vor der Bäckerei in Sarmenstorf. Er ist der prominenteste Politiker, der in Dottikon präsent ist, er ist Fraktionschef im Kantonsparlament. «Vier Standaktionen bis jetzt in diesem Wahlkampf», resümiert er, «und kein einziges Mal wurde ich auf die Asylpolitik angesprochen.» Er nehme diese ganze Aufregung nur in den Medien wahr. Hilfiker scheint wenig überzeugt von der Tour de Force seines Parteichefs. «Asyl ist das Thema der SVP, nicht der FDP», sagt er.
Doch Thierry Burkart will das Thema nun in der FDP verankern. Bei der nächsten Delegiertenversammlung will er sich seinen Kurs absegnen lassen. Dazu gehört auch eine ablehnendere Haltung gegenüber der Migration aus der EU, von der viele Unternehmen profitieren. Burkart hat die schmuddelige Asylpolitik, um die sich bislang der Luzerner Ständerat Damian Müller gekümmert hatte, zur Chefsache erklärt. Vermutlich in der Hoffnung, als Parteipräsident mit radikalen Äusserungen an Kontur zu gewinnen. Wie es bei einem seiner Vorgänger funktioniert hat: bei Philipp Müller, der von 2012 bis 2016 FDP-Präsident war und ebenfalls aus dem Aargau stammt. Aber den musste man nie zweimal um eine Pöbelei bitten.
Bei Burkart schimmert das Kalkül durch. Er höre oft den Wunsch nach einer FDP mit klar erkennbaren Positionen, sagte er in einem Interview mit der parteiinternen Kommunikationsabteilung nach seinem Amtsantritt 2021. «Das ist fast noch wichtiger als die Position an sich.»
Und wichtiger als die Realität. Das monströse Feindbild, das Burkart in der NZZ skizziert hat: Es zerfällt in Dottikon. Nur ein paar Schritte vom Stand der FDP entfernt führt eine Treppe in den Untergrund. Dort, unter Tage, eröffnete der Kanton Anfang Juli eine grosse Notunterkunft für maximal 128 männliche Asylsuchende. Derzeit leben 80 Personen in der Anlage, sie sollen für maximal vier Wochen bleiben und dann in die Gemeinden verteilt werden.
Keine Gewalt, keine Konflikte
In Dottikon mit seinen 4200 Einwohner:innen war die Aufregung beträchtlich, als der Kanton die Umnutzung des Schutzkellers zur Asylunterkunft verfügte. Die SVP biss sich sofort am Thema fest, machte Druck auf Gemeinde und Kanton. Schliesslich verfügten die Behörden gegenüber den Asylsuchenden ein Rayonverbot für den Bereich um die nahe Primarschule, dazu wird die Anlage rund um die Uhr bewacht.
Doch all die befürchteten Probleme blieben aus. Das sagt Patrick Keller, zuständiger FDP-Gemeinderat in Dottikon: «Es läuft sehr gut.» Keine Gewalt, keine Konflikte, keine Reibungen mit der übrigen Bevölkerung. «Die Leute sind vor allem froh, dass sie in Sicherheit sind», so Keller. Sie hätten schon nach Deutschkursen und Beschäftigungsmöglichkeiten gefragt.
Dann hilft Keller noch ein bisschen mit am Stand. Bis plötzlich starker Regen einsetzt. Schnell zügelt man unters Vordach des Coops. Steht da dicht gedrängt mit Schokolade, Wasserflaschen und Flyern in den Händen. Im Bewusstsein, dass diese Standaktion nicht mehr viel bringt. Dass auch Burkarts Asylausritt nichts hilft. Und dass Travis an diesem verregneten Herbstmorgen nicht mehr auftauchen wird.