Im Affekt: Zurich Film Festival: Der andere Blick

Man habe eine «neue Dimension der Professionalität und der Exzellenz erreicht» und sei gekommen, um «die Standards neu zu definieren», so verkündete das Zurich Film Festival (ZFF) im Schlusscommuniqué zu seiner Jubiläumsausgabe. Gemeint waren damit nicht die Rekordzahlen bei Stars und Publikum, sondern das neue Festivalzentrum. Doch auch im Umgang mit dem Dokumentarfilm «Russians at War» hat das diesjährige ZFF neue Standards definiert – jenseits von Professionalität und Exzellenz.
Bei Bekanntgabe des Programms war dem umstrittenen Film noch eigens ein dreiseitiges «Factsheet» im Mediendossier gewidmet. Dieses wurde später entfernt, nachdem das ZFF auf Druck von aussen sämtliche Vorstellungen von «Russians at War» annulliert hatte – angeblich aufgrund von Sicherheitsbedenken. Weil das Festival die Reportage von der russischen Kriegsfront dennoch im Wettbewerb belassen wollte, durfte letztlich zwar die Jury den Film sehen; entsprechende Anfragen der Presse wurden jedoch abgeblockt. Bei einer Vorführung für akkreditierte Medien hätte man allerdings schwerlich irgendwelche Sicherheitsbedenken vorschieben können.
Dass ein grosses, staatlich gefördertes Festival einen Wettbewerbsfilm ohne jede Öffentlichkeit einzig der Jury zeigt: Das dürfte, gelinde gesagt, ein Novum sein. Umso stossender, dass ausgerechnet das Festival, das der NZZ-Gruppe gehört, die Medien in diesem Fall aussperrte. Wobei just der Kritiker der NZZ den fraglichen Film bereits am Festival in Venedig gesehen hatte. In seiner erschöpfenden Berichterstattung über «Russians at War» bilanzierte dieser zum Abschluss des ZFF, der Film sei «keine Putin-PR», sondern orientiere sich am «Cinéma vérité». Und wenn es so wäre: Wie praktisch, dass das NZZ-Festival niemandem die Gelegenheit gab, das zu prüfen.
Zwei Slogans aus der aktuellen NZZ-Werbung: «Gemacht für Debattenkultur» und «Gemacht für Zweitmeinungen». Debattenkultur, Zweitmeinungen? Beim hauseigenen Festival ist offenbar beides nicht vorgesehen.
Idee für eine Debatte: Wenn «Cinéma vérité» draufsteht, ist es dann automatisch gefeit vor Propaganda? Diskutieren Sie!