Im Affekt: Wo der Erfolg hockt

Nr. 47 –

«13 Methoden, die jedes Kind glücklich und erfolgreich machen», versprach die «NZZ am Sonntag». Als ob es nicht schon genügend Erziehungsratgeber gäbe. Und es erstaunt nicht, dass hier ein glückliches Kind nicht reicht: Selbstverständlich muss es auch erfolgreich sein. Wo der Erfolg dann hockt, wird gleich beim ersten der dreizehn Tipps offensichtlich – nämlich daheim in der Familie. So lautet der erste Ratschlag: «Behalten Sie es zu Hause. Der Erfolg des Kindes und sein Glück werden ihm buchstäblich in die Wiege gelegt.» Zitiert wird als Beleg der Kinder- und Jugendarzt Oskar Jenni, der behauptet, die Natur habe es so eingerichtet, dass die Eltern die Bedürfnisse der Kinder am besten decken könnten.

Abgesehen davon, dass schleierhaft bleibt, was genau Jenni mit «Natur» meint (vielleicht den milchgefüllten Busen?), ist der Mensch bekanntlich nicht nur einfach «Natur». Unsere Lebenswege werden geformt und geprägt von ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren. Diese sind – je nachdem, welcher Familie wir in die Wiege gelegt werden – sehr unterschiedlich. Während den einen von Mami und Papi vor dem Einschlafen Geschichten erzählt werden und vorgesungen wird, sitzen die anderen allein vor dem Bildschirm, während die Eltern bis spät in die Nacht für wenig Lohn schuften müssen.

Was man weiss: Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben seltener Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen und sind später ebenfalls benachteiligt. Gerade für sie ist es deshalb wichtig, dass sie möglichst früh die Möglichkeit zur externen Förderung haben und eben nicht nur zu Hause bleiben.

Übrigens sagte der in der «NZZ am Sonntag» zitierte Experte in einem Interview mit einem anderen Medium: «Ein gerechtes Bildungssystem wäre wichtig, aber wir sind als Gesellschaft sehr weit davon entfernt.» Ja, wie wärs, dieses Problem endlich mal anzugehen, anstatt das Bildungsbürgertum mit Tipps zu versorgen, wie sich die Startvorteile für den Nachwuchs weiter optimieren lassen?

Zu viele Kinder dürfen ja sowieso nicht erfolgreich sein, denn, wie die «NZZ am Sonntag» neulich zu wissen glaubte: «Eine Gesellschaft braucht eine Elite.»