Diesseits von Gut und Böse: Nirgends sicher vor Rabatt

Ladenhopping ist nicht mein Ding – zu gross die Strapazen für Geduld und Geldbeutel. Aber auf Temu bestelle ich schon gar nicht. Wenn schon aus China, dann bitte lokal vom Gebrauchtwarenhändler um die Ecke. Brockenstuben, Secondhands und Flohmis sind meine Welt. Ehrliche Ware, schlecht präsentiert, da fühle ich mich wohl. In meinem Stammbrocki stinkt noch jedes Textil zuverlässig nach Keller, und in der Möbelabteilung bringt die gestapelte Tristesse aus dunklen Holzkommoden und Stuhl gewordenem Modeschmuck auch robuste Gemüter an ihre Grenzen. Die Angestellten üben sich in routinierter Gleichgültigkeit. Es ist das vielleicht letzte verführungsfreie Terrain. Wer hier etwas finden will, muss sich anstrengen. In Zeiten des Konsumwahns fast schon pädagogisch wertvoll. Und ziemlich sympathisch.
Dachte ich jedenfalls. Bis ich neulich ein Heilsarmee-Brocki betrat. Perfekt aufgeräumtes Angebot auf zwei durchgestylten Etagen. Auf Anhieb finde ich den angepeilten Wintermantel (14.90), dazu nicht angepeilte, aber gut präsentierte gefütterte Schuhe (19.90) und eine Ladung Jeans auf Vorrat für die Kinder (4.90 bis 9.90). In der farblich assortierten Küchenabteilung schramme ich knapp an einem Blödkauf vorbei. Ziemlich stolz darauf, verzeihe ich mir dafür den unnötigen Beifang in der Kleiderabteilung. (Gemeint sind weder die Schuhe noch die Jeans.) Der Höhepunkt dann an der Kasse: «Haben Sie eine Brocki Card? Oder möchten Sie eine?» Die Angestellte ist von solch formvollendeter Freundlichkeit, dass ich sie als Schwiegermutter adoptieren würde. Nach 300 Franken Einkauf gebe es einen Treuebon im Wert von 5 Franken. Da ich heute schon für fast 100 Franken zugeschlagen habe, kriege ich das sicher bald hin. Und sollte darob bald mein Schrank bersten, lade ich einfach wieder etwas Plunder im Brocki ab, denn auch für Bringware gibts Punkte.
«Herzlich willkommen in der aufregenden Welt des Secondhand-Shoppings!», jubelt das Begrüssungsmail der Brocki Card. Für den nächsten Besuch erhalte ich «12% Willkommensrabatt». So geht Verkaufsförderung. Konsumrausch, ich komme!
Diesmal ausnahmsweise von Gastautorin Marlene Kalt.