Im Affekt: Seine Heiligkeit, die Kalenderspruchmaschine

Tief einatmen, halten, ausatmen. Wir alle wollen Frieden und Glück, aber das 21. Jahrhundert wird kein leichtes. Wie werden wir glücklich? «Wisdom of Happiness», der neue Schweizer Dokumentarfilm von Barbara Miller und Philip Delaquis über den Dalai Lama, will uns zeigen, wie das geht. Das Fundament der menschlichen Natur sei das Mitgefühl, trägt der Dalai Lama weiter vor. Kinder sehen noch keine Farben und Nationalitäten, erst unsere materialistische Kultur sät Misstrauen, Angst und Wut. Die Quelle des Glücks liegt in uns drin. Altes Wissen lehrt uns, wie wir den Frieden des Geistes mit Meditation erlangen können. Und so weiter.
Ganze sechzig Jahre lang sass der Dalai Lama im indischen Exil in seinem Studierzimmer, las Bücher und meditierte – und das ist alles, was dabei herausgekommen ist? Auf der Tonspur reiht seine sogenannte Heiligkeit neunzig Minuten lang Kalendersprüche aneinander. Dazu sehen wir Bilder aus seinem Leben oder stereotype Darstellungen aus den Bereichen Natur und Zivilisation, die ästhetisch gut zu einem solchen Kalender passen würden. Zwischendurch sehen wir ethnisch diversifizierte Porträts – ach, die Menschenfamilie!
Der Dalai Lama ist einer der geschicktesten Lobbyisten der Welt und engagiert sich für seine politische Sache, die kulturelle Autonomie der Tibeter:innen – verständlich. Doch die westliche Projektion auf diesen Mann als urwüchsige Verkörperung von Friedfertigkeit und Weisheit, die auch dieser Film exzessiv bedient, ist unerträglich. Dass der Angehörige einer klerikalen Elite und Extheokrat hier etwa behauptet, sein Land sei eben eines des Friedens gewesen, bevor es von China besetzt worden sei, ist nur eine Konsequenz davon.
Wieso dem Dalai Lama zuhören, wenn man nicht glaubt, dass er eine Inkarnation von irgendetwas ist? Am Inhalt kann es nicht liegen. Doch die freundlichen Gemeinplätze taugen gut dazu, die Sehnsucht nach einer Religion zu kultivieren, die irdischen Machtkämpfen, Missbrauch und Rassismus enthoben ist und dank der sich Weisheit mit ein bisschen Übung auf der Yogamatte ganz intuitiv erlangen lässt.
Vielleicht lässt der Dalai Lama fürs westliche Publikum auch mal den einen oder anderen Nebensatz weg.