Ursula Bauer (1947–2024): Magische Momente im Valle Maira

Nr. 49 –

Im abgelegenen Piemonteser Tal ist ein sanfter Tourismus mit neuen Arbeitsplätzen entstanden. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Ursula Bauer.

Ursula Bauer im Valle Maira
Bis zuletzt hoch und steil hinaus: Ursula Bauer im Valle Maira.

Liebe Ursi, langsam begreife ich erst richtig, was du in den dreissig Jahren als Rotpunkt-Autorin geleistet hast. Worte für dich zu finden, fällt mir leicht. Aber ein Nachruf auf dich, auf eine Zeichenzahl beschränkt und einigermassen gut formuliert? Das wird eine Herausforderung. Wie hast du das gemacht? Das hätte ich dich vielleicht einmal fragen sollen …

Deine Texte sind federleicht, manchmal mit einem bissigen Unterton, einem kleinen Seitenhieb oder einem verschmitzten Zwinkern. Du beschreibst Landschaften, Stimmungen und Erlebnisse so, dass man das Gefühl hat, es mit dir zu erleben. Und man will unbedingt dorthin! Ins Bergell, ins Valle Maira im Piemont und, ja, sogar nach Olten!

Aus Olten kam ich 2004 als junge Herstellerin zum Rotpunktverlag, und schon bald hiess es: «Bauer-Frischknecht kommen vorbei.» Ich glaube, es ging um eine Neuauflage, vermutlich von «Grenzschlängeln». Auf jeden Fall war ich nervös. Euer Ruf eilte euch voraus, ihr wart schon damals eine Institution und eigentlich immer im Doppelpack. Bauer-Frischknecht eben. Ich weiss nicht, was ich erwartet hatte. Aber sicher nicht das: Mit eleganter Kurzhaarfrisur und in adretter Lederjacke bist du aufgetaucht. So habe ich mir eine Wanderbuchautorin nicht vorgestellt. Du warst die Stillere von euch beiden, aber sicher nicht die Stumme. Deine Kommentare kamen präzise und immer zur richtigen Zeit.

Es dauerte acht Jahre, bis ich mich an mein erstes Bauer-Frischknecht-Buch wagte: «Schüttelbrot und Wasserwosser». In herstellerischem Übermut mit fünf Farben gedruckt. Ich glaube, das knallige Grün hat euch beiden nicht gefallen. Gesagt habt ihr es nie. Ich hatte bei euch gestalterische Narrenfreiheit.

Neun Wanderbücher hast du zusammen mit Jürg geschrieben – vierhändig, wie ihr immer betont habt. Und doch waren es für Unbelehrbare oft «Frischkis Bücher», du standest etwas im Schatten. Jürg ärgerte sich sehr darüber und du bestimmt auch. Doch 2015, bei «Solothurn Olten Aarau», da lobte Programmleiter Andreas Simmen ausdrücklich den Juratext, und Jürg meinte: «Ich sage es der Autorin gerne weiter.»

Was für ein Schock und Schmerz, als Jürg 2016 verstarb. Noch dunkler wurde es mit deinem schrecklichen Unfall. Wir waren so froh, als du – langsam, Schritt für Schritt – wieder zurückkamst. Du hast deine Eleganz nicht verloren, auch dein Lächeln kam wieder zurück. Unsere Beziehung wurde enger. Auch deine zu Rotpunkt. Bald hast du von «wir» gesprochen und damit den Verlag gemeint. Diese Verbundenheit war für beide Seiten wichtig. In dieser Zeit hat sich viel verändert, und wir beide waren nach dem Weggang von Andreas und Thomas Heilmann die «Alten». Ursi, du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Stütze du mir in dieser Zeit warst und für uns alle bis jetzt geblieben bist.

Aber die Lücke blieb. Was tun, wenn der Schreibpartner wegfällt? Du hast dich an einem Buch versucht. Es wollte nicht so recht klappen. Du hast gehadert, auch mit Jürg geschimpft (schimpfen konntest du sowieso gut). Und so haben wir für den Anfang die kurze Form gefunden. Kapitelweise hast du unseren Blog mit den Bach- und Flussgeschichten gefüllt. Die Freude war immer gross, wenn ein neuer Text von dir eintraf, und deine Ungeduld war schon fast wohltuend, wenn wir nicht sofort darauf reagierten. Du hast von zwei (!) Büchern im Schuber geträumt – eins für die Limmat, eins für die Sihl. Wie gerne hätten wir das mit dir zusammen gemacht!

Dann stand das Jubiläum an: 25 Jahre «Antipasti und alte Wege», die zehnte Auflage. Du hast dich mit der Energie für zwei hineingestürzt und Jürgs Lücke für einen Moment geschlossen. Recherchearbeiten vor Ort waren natürlich unumgänglich. Und so kam 2023 der für mich magische Moment: Du hast mich mitgenommen ins Valle Maira, in dieses mystische Tal, das mich seit Anbeginn meiner Rotpunkt-Zeit begleitete, ohne dass ich je dort gewesen wäre.

Wir haben gut zusammengepasst: ich ohne jegliche Kondition und du schon etwas unsicher auf den Beinen. Das Wandertempo mit dir war perfekt. Du wolltest immer hoch und steil hinaus. Ich brauchte einiges, um dich davon abzuhalten. Dass du körperlich nicht mehr alles schafftest, hat dir zu schaffen gemacht. Aber was du geschafft hast, hat mich beeindruckt; nicht nur wandertechnisch, sondern grundsätzlich. Ich weiss, dass du es weisst, aber wissen es alle? Mit eurem Buch habt ihr das Valle Maira vor der Abwanderung bewahrt, denn die Menschen wollen sehen und erleben, was ihr beschreibt. Euretwegen ist ein sanfter Tourismus, sind Arbeitsplätze entstanden, und das Valle Maira hat eine Zukunft. Und ich weiss, das hat dich gefreut.

Nächstes Jahr wollten wir wieder hin, in dein Valle Maira. Und dann bist du am 16. November für uns alle so unerwartet schnell gegangen. Jetzt bleibt die Lücke.

Liebe Ursi, du hast deinen Platz gefunden, auch ohne Jürg. Du konntest zweihändig schreiben, und wie! Du standest in niemandes Schatten, du warst für mich und uns eine strahlende Frau. Du warst die eine Hälfte von Bauer-Frischknecht, aber auch – und vor allem – Ursula Bauer.

Von Januar 1997 bis November 2001 schrieb Ursula Bauer regelmässig im Wechsel mit Al Imfeld und anderen die WOZ-Kolumne «al dente». Zuletzt reiste sie im vergangenen Sommer mit der «WOZ unterwegs» nach Nordirland.