Durch den Monat mit Andreas Simmen (Teil 3): Hatten Sie schon eine superprovisorische Verfügung?
Beim Rotpunktverlag sei in den achtziger Jahren weniger gestritten worden als bei der WOZ, sagt Andreas Simmen. Den Programmleiter kosten seine AutorInnen manchmal Nerven, aber wenn das Buch gut wird, ist er wieder versöhnt.
WOZ: Herr Simmen, der Rotpunktverlag wurde 1976 von den Poch, den Progressiven Organisationen der Schweiz, gegründet und versteht sich auch noch heute als linker Verlag – Parteipropaganda findet man im Programm aber schon seit langem nicht mehr. Wie kommt das?
Andreas Simmen: Der Rotpunktverlag wollte schon von Anfang an explizit nicht als Parteiverlag verstanden werden. Und bald nach der Gründung sind denn auch Leute eingestiegen, die mit den Poch nichts zu tun hatten – ich übrigens auch nicht. Für ihre Politschriften hatten die Poch ihren eigenen Verlag, das nahm Druck von den Rotpunkt-Leuten: Sie verständigten sich darauf, nicht Sprachrohr einer bestimmten Gruppierung zu sein. Ich bin aber nicht grundsätzlich gegen politische Manifeste. Wenn man beispielsweise an die Schriften von Stéphane Hessel denkt – «Empört euch!» –, so etwas ist wichtig und würde auch in unser Verlagsprogramm passen. Nach der Minarettinitiative dachte ich mir, dass eine Streitschrift her müsste, die fragt: Was zum Teufel ist mit diesem Land eigentlich los? Eine Art Philippika. Doch so etwas kann man nicht in Auftrag geben.
Haftet Ihnen in der Branche kein roter Stallgeruch an?
Nein. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat der Rotpunktverlag, auch in der Branche, sehr an Akzeptanz gewonnen. Das hat einerseits mit der Professionalisierung zu tun, andererseits damit, dass wir uns nicht mehr im Kalten Krieg befinden, wo alles, was «rot» im Namen trug, des Teufels war. Da gab es von gewissen Leuten schon Anfeindungen, aber das hat uns nie gross gekümmert. Viel lustiger ist, dass es eine Aktion der Rechten war, die unserem linken Verlag entscheidende Starthilfe gab: Einer Lehrerin in der Zürichseegemeinde Erlenbach wurde gekündigt, weil sie mit ihrer Klasse Walter Matthias Diggelmanns «aufwieglerisches» Buch «Ich heisse Thomy» las. Wir druckten eine Neuauflage, und das Buch wurde gekauft wie verrückt, weil alle wissen wollten, weswegen die Frau nun genau entlassen worden war.
Auch Linke sind sich in gewissen Fragen oft alles andere als einig. In der Jubiläumsschrift des Rotpunktverlags ist von langen Sitzungen in verrauchten Kneipen die Rede. Waren die anstrengend?
Die habe ich vor allem als kreativ und lustig in Erinnerung: Man wälzte neue Projekte, auch ganz unrealistische und abgehobene. Wenn es dann aber ans Realisieren ging, war man mehr oder weniger auf sich selbst gestellt und zog sein eigenes Projekt von A bis Z durch. Das war wohl auch der Grund, weshalb es weniger Konflikte gab als in der WOZ. Die andern sagten: Okay, wenn du meinst, dann mach mal! Bis Anfang der neunziger Jahre war ja die Arbeit im Rotpunktverlag reine Freizeitarbeit. Alle hatten daneben einen Job. Thomas Heilmann war bei der Transa, ich bei der WOZ. Heute ist das betriebsorganisatorisch ein ganz anderer Verlag.
Was tun Sie, wenn Ihre Autoren nicht termingerecht liefern?
Weil wir in jedem Halbjahr ein durchmischtes Programm zu präsentieren haben, ist es unvermeidlich, bei den Autoren auch mal Druck zu machen. Aber zu viel Druck geht nicht, damit erzeugt man unter Umständen nur noch mehr Probleme – es ist eine diffizile Angelegenheit. Und manchmal muss man Verspätungen in Kauf nehmen. Das eben erschienene Buch über die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser, hätte im Frühling vor einem Jahr erscheinen sollen. So etwas ist dann zwischendurch schon nervenaufreibend – für den ganzen Betrieb. Aber wenn am Ende, wie in diesem Fall, ein hervorragendes und hochaktuelles Buch steht, ist man rasch wieder versöhnt.
Welche Bücher würden Sie in nächster Zeit gerne machen?
Es sind derzeit zirka fünfzig Buchprojekte irgendwo in der Pipeline. Etwa zwanzig davon sind bereits fest eingeplant. Die anderen befinden sich in Phasen zwischen konkreter Idee und fortgeschrittener Projektierung. Was – mangels Autor – noch nicht dazu gehört: Ein kritisches Porträt über den Rohstoffkonzern Glencore beziehungsweise Glencore und Xstrata – das müsste man machen. Was dagegen schon in der Pipeline ist: ein Buch über eine Reihe von Politskandalen in einer bestimmten Region der Schweiz, aber dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, sonst haben wir plötzlich eine superprovisorische Verfügung am Hals (lacht).
Kam das schon einmal vor?
Nein. Einmal hatten wir Angst, dass es eine geben würde, aber die kam überraschenderweise nicht. Die meisten empörten Reaktionen erhalten wir seltsamerweise auf die Wanderbücher. Da ruft dann jemand an und sagt, dass es sich beim beschriebenen Gebäude um eine Kapelle handle und nicht um ein Gotteshaus! Oder dass dieser Ort in der Surselva bei der Bevölkerung unter dem Flurnamen Soundso bekannt sei und nicht unter dem auf der Swisstopo-Karte aufgeführten Namen. Darüber gab es lustigerweise sogar eine Sendung im rätoromanischen Radio. Aber auch das sind Ausnahmen.
Andreas Simmen (58), Programmleiter des Rotpunktverlags, ist es zu verdanken, dass der WOZ seit 1995 bis heute Monat für Monat die deutschsprachige Ausgabe des «Monde diplomatique» beiliegt.
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