Literatur: Mischpoke in der Ferienhölle

Nr. 50 –

Buchcover von «Juli, August, September»
Olga Grjasnowa: «Juli, August, September». Roman. Hanser Berlin. Berlin 2024. 224 Seiten.

Lou gibt die Pasta ins Wasser, bevor es kocht. Es ist einer der seltenen Abende, an denen ihr Mann Sergej zu Hause ist. Er, der erfolgreiche Konzertpianist, bezahlt die Berliner Altbauwohnung; sie ist Kunsthistorikerin, aber das tut nicht viel zur Sache. Weil ihre fünfjährige Tochter Rosa nicht weiss, wer Adolf Hitler ist, wirft Lou die Frage auf, ob das Kind nicht seine jüdischen Wurzeln kennenlernen sollte. «Juden haben keine Wurzeln, Juden haben Beine», findet Sergej. Ob die Pasta zu weich sei, fragt Lou; über die Fehlgeburt reden sie nie.

Lous ganze Existenz kommt so beengend und lustlos daher, dass sich beim Lesen die Nackenhaare aufstellen. Als ihre Tante Maya zum Neunzigsten die ganze Mischpoke aus Israel und Deutschland nach Gran Canaria beordert, reist auch sie widerwillig hin, mit der quengeligen Rosa und ihrer Mutter im Schlepptau. Herrlich, wie Olga Grjasnowa die All-inclusive-Ferienhölle karikiert, wo sich die Familie lautstark nichts zu sagen hat. Dann aber stellt sich heraus, dass Maya die Familiengeschichte manipuliert, und Lou will mehr wissen.

Da klingt viel an: eine zersplitterte Familie, der zwischen Deutschland und Israel die gemeinsame Sprache abhandenkommt; Verlust und verdrängte Traumata; Fragen nach Mutterschaft, Identität und danach, wie Erinnerung funktioniert. So richtig an Tiefe gewinnt der Roman aber nie. Die Figuren sind bewusst flach geschrieben, klar, und die zugespitzten Dialoge sehr unterhaltsam. Nur: Wo komplexe Emotionen ins Spiel kommen, wirken sie ungewollt hölzern. Grjasnowa schafft den Spagat zwischen Ernst und Komik nicht.

Aus dem Rahmen fällt die Kriegsgeschichte von Lous Grossmutter, die ihre Mutter eines Abends auf dem Hotelbalkon erzählt. Sie liest sich atemlos, wie die fassungslos nacherzählte Version einer realen Begebenheit. Wieso also reagiert Lou nun genervt? Auch diese Geschichte bleibt in der Luft hängen. Das hat etwas vom All-inclusive-Buffet im Ferienresort: Von allem gibt es zu viel, so richtig zusammenpassen will es nicht.