Von oben herab: 2 in 1

Nr. 51 –

Stefan Gärtner vermeidet Fake-Shops

Wer kann schon von sich sagen, noch nie auf die Maschen von Leuten hereingefallen zu sein, die es nur aufs Geld abgesehen haben? Vor zwanzig Jahren wurde ich auf dem Weg zu Pizza Hut um das komplette Weihnachtsgeld meiner Grossmutter erleichtert, als mich ein junger Mann um Kleingeld bat und ich unerfahren genug war, in der geöffneten Geldbörse sowie im Beisein seiner Freunde, die mir hilfsbereit über die Schulter sahen, danach zu suchen. Bei Pizza Hut musste ich dann feststellen, dass auch alles Grossgeld verschwunden war, weshalb ich die Bestellung annullieren musste, was mir zum Schaden noch einen Vorwurf von Pizza Hut einbrachte.

Man darf heute ja nicht mehr alles sagen, schon gar nicht, wenn es ein Vorurteil bedient, und darum darf ich angeblich nicht schreiben, dass es sich um einen migrantischen jungen Mann handelte. Wenn ich das schreibe, will ich aber gar nicht sagen, dass migrantische Männer Taschendiebe sind – sie sind, zum Beispiel, mein Augenarzt, mein Lampenhändler, der Schwimmlehrer meines Sohnes –, sondern bloss die Überlegung einleiten, was ich wohl bei der Polizei gesagt habe, wo ich, aus Gründen der seelischen Hygiene, Anzeige erstattete. Habe ich der Polizei, diesem Arm der weissen staatlichen Gewalt, so was gesagt wie: «Na ja, südländischer Typ»? Oder habe ich gesagt, ich wüsste es nicht, damit die Polizei keinen Vorwand fürs Racial Profiling bekäme?

Das ist bei den «dubiosen Onlineshops», wo sich chinesische Billigware erwerben lässt, «die man selber und günstiger in China hätte bestellen können», einfacher, denn bei der Recherche stiess der «Blick» immer wieder auf eine gut Schweizer Briefkastenfirma aus Effretikon ZH, die beim «Dropshipping» mitmischt, nämlich Importware verhökert, die sie nie zu Gesicht bekommt, und dabei mit «Schweizer Herkunft» wirbt. Wer also immer schon von einem tragbaren «2-in-1-Plastik-Snackbecher» für 50 (!) Franken geträumt hat, konnte bei trend-box.ch fündig werden; doch wenn sich die Kundschaftsbeschwerden häufen, wird der Laden, glauben wir «Blick» (sowie dem SRF-«Espresso»), dichtgemacht und andernorts wieder geöffnet: ein Geschäft wohl an der Grenze zum Illegalen, aber eben noch diesseits.

Mein Vater wusste, dass zu denen, die betrügen, immer die gehören, die sich betrügen lassen. Und lässt sich mein zwanzig Jahre jüngeres Selbst noch dahingehend verteidigen, dass es ja nur helfen wollte, weiss ich nicht, wie gross mein Mitleid mit Menschen sein muss, denen ein «3-in-1-Minikühlgebläse» 120 Franken wert ist und die für 120 Stutz aber nicht ins Fachgeschäft gehen, sondern auf eine billige Website. Hinter Seiten wie baby-paradies.ch oder reise-welt.ch steckt «Blick» und «Espresso» zufolge eine Firma, die schon zu Jahresbeginn Schlagzeilen durch den Verkauf von «China-Schrott» gemacht habe, und wenn an Identitätspolitik immerhin stimmt, dass sich Rassismus und Kapitalismus gut vertragen, dann sorgt die leichtfertig konsumierende Kundschaft dafür, dass das Klischee vom Chinaschrott in der Welt bleibt, weil der «Blick», will er über Schrottprodukte aus China schreiben, sie dann auch so nennen will.

Es stimmt aber eh nicht, dass man «nichts mehr sagen» dürfe, und es stimmt auch nicht, dass Kritik an Israel heutzutage immer gleich für Antisemitismus gehalten werde, und am allerwenigsten stimmt, dass für antijüdische Gefühle jenes vermeintliche Kritikverbot verantwortlich sei, das schon Adorno für eine wahnhafte Projektion hielt. Antisemitisch ist dagegen der Argwohn, gegen Juden dürfe man nichts sagen, und wer ein antijüdisches Gefühl hat, hat es. «Israelkritik» als eigenes, singuläres, allein jüdisches Unrecht wahrnehmendes Rubrum ist so eine Art 2-in-1-Ressentimentbecher. Aber eher kaufen die Leute keinen Quatsch mehr, als dass diese Website abgeschaltet wird.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»).

An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.