Essay: Trump ist unheimlich, aber er ist nicht unamerikanisch

Nr. 2 –

Noch mal Politporno in der Dauerschleife, noch mal diese ständige Aufgekratztheit: Schon zu Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit stellen sich linke Ermüdungserscheinungen ein. Dagegen helfe ein nüchterner Blick auf die US-Geschichte, schreibt die langjährige WOZ-Korrespondentin.

Trump-Fans an einer Wahlveranstaltung in Des Moines, Iowa, im Januar 2024
Wer nichts hat, hat noch immer seinen patriotischen Stolz: Trump-Fans an einer Wahlveranstaltung in Des Moines, Iowa, im Januar 2024. Foto: Chip Somodevilla, Getty

Wenn Donald Trump am 20. Januar mit viel patriotischem Pomp als 47. Präsident der USA in sein Amt eingesetzt wird, vier Jahre nach dem von ihm inszenierten Sturm aufs Kapitol, werden die Fahnen in Washington voraussichtlich auf halbmast stehen. Zu Ehren des am 29. Dezember verstorbenen Expräsidenten Jimmy Carter. Der ehemalige Erdnussfarmer gewann im Gefolge des Vietnamkriegs und der korrupten Nixon-Regierung die Wahl 1976 unter anderem mit dem Versprechen, er werde die Amerikaner:innen nicht anlügen. Ein Mann, der statt Rache und Vergeltung Empathie und Fürsorglichkeit gegenüber Mensch und Natur predigte. Im heutigen Politklima kann man sich das gar nicht mehr vorstellen.

Inwieweit Trumps Marsch zurück an die Spitze der politischen Institutionen bloss die Fortsetzung des Putsches mit anderen Mitteln ist, wird sich zeigen. Ob ich selber noch mal vier Jahre im Trumpozän aushalten werde, ist auch noch nicht sicher. Bereits jetzt habe ich den wieder heiss laufenden medialen Politporno satt. Ich will sie nicht mehr sehen, die immer neuen, immer noch pikanteren Enthüllungen aus Mar-a-Lago. Welchen Bock wird der neu gewählte Machthaber noch zum Gärtner seines Maga-Imperiums machen? Wer schleimt sich noch in die oligarchische Schattenregierung der Milliardäre? Welches begehrenswerte Terrain will Trump als Nächstes erobern oder kaufen? Die täglichen Skandalgeschichten zeigen letztlich stets dasselbe: einen skrupellosen, grössenwahnsinnigen Narzissten mit Massenwirkung. Und mit einem offenbar unerschöpflichen und weltumspannenden Reservoir an Speichellecker:innen.


In die USA auszuwandern, war nie mein Traum. Meine Lebens- und Liebesgeschichte führte mich trotzdem hierher. Seit vielen Jahren wohne ich im kleinen Bundesstaat Vermont, der politischen Heimat von Bernie Sanders. Ganz Amerikanerin geworden bin ich aber auch nach bald dreissig Jahren in Übersee nicht. Ich habe mich nie um das US-Bürgerrecht beworben. Auf der Green Card steht: «Permanent Alien» – eine ewig Fremde. Was Simone de Beauvoir über «das andere Geschlecht» sagte, gilt offenbar auch für andere Länder: Nationale Identitäten sind nicht angeboren, sondern gemacht. Und der Machart der USA stehe ich nicht erst seit dem Aufstieg des Trumpismus ziemlich kritisch gegenüber.

Was mir Neuzuzügerin Ende der neunziger Jahre in den USA als Erstes auffiel: die ständige Erregung. Der Ausnahmezustand als Lebensform. Der Mangel an sozialer Sicherheit und ökologischer Nachhaltigkeit. Die tiefe Kluft zwischen Reich und Arm. Die scharfe Trennung in Gut und Böse. Das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung. Die Heftigkeit gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, die hier nicht umsonst «Kulturkriege» heissen. Und allgegenwärtig das schwelende Grundgefühl, dem Rest der Welt überlegen und zugleich von ihm bedroht zu sein. Die Maga-Bewegung ist bloss der neuste, allerdings sehr radikale Ausdruck dieses tief verwurzelten Exzeptionalismus.

Donald Trump ist unheimlich, aber er ist nicht unamerikanisch. Dies zusammenzudenken, bereitet vielen in meinem Umfeld Mühe.

Die einen sehen das Unheimliche: Trumps Wiederwahl als das Ende der US-Demokratie, wie wir sie kannten. Sie befürchten das Schlimmste: Massendeportationen, Militäreinsatz im Innern, Inhaftierung der politischen Opposition, Handelskriege, Faschismus. Manche planen ihr Exil oder gar die bewaffnete Selbstverteidigung. Andere betonen das Amerikanische: Sie sehen auch die zweite Trump-Wahl als Ausrutscher und wollen möglichst rasch zur politischen Tagesordnung übergehen. Sie sind überzeugt, die Machtverhältnisse in der Zwischenwahl 2026 wieder umkehren oder zumindest ausgleichen zu können. Sie erwarten spätestens in vier Jahren eine Rückkehr zur Normalität. Weder Defätismus (da kann man nichts machen) noch Zweckoptimismus (es wird schon wieder werden) werden jedoch den Weg aus der gegenwärtigen Demokratiekrise in den USA weisen.


Die USA kommen mir zurzeit so unbeständig vor wie die Muster im Kaleidoskop, das mir mein Grossvater vor vielen Jahren gebaut hat. Die kleinste Bewegung, und schon sieht alles ganz anders aus. Schon damals hätte ich das Ding nach ein paar Drehungen gerne auseinandergenommen, um zu sehen, wie all die Bilder zustande kommen. Nun will ich mir ein paar Bausteine des gängigen Politdiskurses in den USA etwas näher anschauen.

Das «Mandat». Donald Trump erachtet seine Wiederwahl selbstverständlich als Blankocheck. Ein Erdrutschsieg sei dies gewesen, einmalig in der Geschichte der USA. Das ist Unsinn: Trump erhielt weniger Elektor:innenstimmen als zum Beispiel Barack Obama oder Bill Clinton. Und bloss knapp die Hälfte der 150 Millionen abgegebenen Stimmen gingen an den Rechtspopulisten – während ganze 90 Millionen Stimmbürger:innen aufs Wählen verzichteten. Auch die sogenannte Trifecta – Präsidentenamt, Senat und Kongress in der Hand derselben politischen Partei – ist in den USA mittlerweile eher die Norm denn eine sensationelle Ausnahme. Ausserdem ist die Maga-Mehrheit weder im Senat noch im Repräsentantenhaus sehr solide. Das einzig Historische an dieser Wahl liegt darin, dass ein verurteilter Straftäter und ehemaliger Putschist ins Weisse Haus einzieht.

Auch inhaltlich ist es eine grobe Übertreibung, zu behaupten, eine Mehrheit der US-Amerikaner:innen wollten von einem Diktator regiert werden. Sämtliche Nachwahlumfragen zeigen, dass die meisten Trump-Wähler:innen nach wie vor überzeugt sind, Trump werde bloss «Gutes tun», womit sie meinen: Preise senken und die Einwanderung reduzieren. Der ganze Rest, zum Beispiel Militäreinsätze im Innern, sei doch bloss dummes Geschwätz, Wahlpropaganda seiner Gegner:innen halt. So undemokratisch werde der wiedergewählte Präsident nicht vorgehen, und wenn, dann ganz sicher nicht gegen anständige Leute wie sie.

Gestärkt wird das politische Mandat des 47. Präsidenten bisher vor allem durch den vorauseilenden Gehorsam und den skrupellosen Opportunismus von Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Medien, die sich gar nicht schnell genug mit dem Autokraten arrangieren konnten und sich von ihren Bücklingen und Schmeicheleien einen Vorteil erhoffen. Inwieweit der Kongress der neuen Regierung die Stirn bietet, wird sich zeigen; die Republikanische Partei droht endgültig zum Führerkult zu verkommen, während sich die demokratische Gegenseite zu sehr als kompromisswillige Minderheit in einer noch funktionierenden Demokratie versteht und zu wenig als entschiedene Opposition gegen das Absinken in einen elektoralen Autokratismus.

Die Arbeiter:innenklasse. Nach der Niederlage von Kamala Harris hielt Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, nicht zurück mit seiner Kritik: «Es ist keine grosse Überraschung, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, nun herausfindet, dass die Arbeiterklasse sie im Stich lässt.» Hat sich die Demokratische Partei wirklich von den Interessen der arbeitenden Bevölkerung entfernt? Joe Biden war der gewerkschaftsfreundlichste Präsident der US-Geschichte. Die Arbeitslosenquote war unter ihm so tief wie seit den 1950er Jahren nicht mehr. Viele seiner politischen Vorlagen, von Infrastrukturprogrammen bis zu Kinderzulagen, sind als sozial ausgleichende Umverteilungsprojekte angelegt.

Die Reformen zeigten jedoch zu wenig unmittelbare Wirkung bezüglich der dringendsten Probleme der US-Bevölkerung – wie Inflation, Gesundheitskosten und Wohnungsnot. Und die moderat progressive Wirtschaftspolitik der Demokrat:innen wurde wohl zu wenig populistisch, etwa via Social Media, und zu sehr institutionalistisch auf herkömmlichen Kanälen kommuniziert. Trump hatte eine Massenbewegung im Rücken, Kamala Harris – erst im letzten Moment – das Establishment der Demokratischen Partei.

Kommt hinzu, dass die Arbeiter:innenklasse als gesellschaftliche Kategorie heute ebenso brüchig und ungenau ist wie andere Gruppen, mit denen die Demokratische Partei in der Vergangenheit fest rechnete: junge Wähler:innen, Frauen, Schwarze, Lateinamerikaner:innen, Queers. US-Soziolog:innen definieren die Mitglieder der Arbeiter:innenklasse meist als Angestellte ohne Collegeabschluss, in der Schweiz wären das Geringqualifizierte; diese un- oder angelernten Arbeitskräfte machen in den USA fast zwei Drittel der Beschäftigten aus. Etwa die Hälfte von ihnen ordnet sich selber der Arbeiter:innenklasse zu. Die meisten Menschen ohne Collegeabschluss arbeiten im Dienstleistungssektor, etwa die Hälfte sind Frauen. Eine knappe Mehrheit gehört einer ethnischen Minderheit an. Die Bedürfnisse und Forderungen der heutigen US-Arbeiter:innenklasse sind vielschichtig, überlebenswichtig – und sie sind tendenziell systemsprengend. Der hemmungslose Beifall nach der Ermordung eines CEO des profitorientierten Gesundheitswesens ist ein Hinweis darauf, wie bitter nötig eine andere, gerechtere Polit- und Wirtschaftswelt für die prekarisierte Mehrheit der Werktätigen in den USA ist.

Donald Trump hat das Ausmass der Frustration mit dem Status quo erkannt und mit seinen groben Auftritten gewissermassen stellvertretend ausgelebt. Seine Lösung für die ganze Misere? Er selbst, was sonst. Trump wird das alles richten. Wie, dafür liefert er keine glaubwürdigen Anhaltspunkte. In der Wahlkampagne griff er stattdessen auf das hässliche, aber machtpolitisch bewährte «Teile und herrsche»-Prinzip zurück. Trumps wohl erfolgreichster Werbespot lautete: «She is for they/them. We are for you.» Will sagen: Kamala Harris, die Schwarze Frau, beschäftigt sich mit exotischen Sprachregelungen für nonbinäre Menschen, während wir – Donald Trump, der weisse Mann, spricht von sich selbst stets im Pluralis Majestatis – für die normalen Amerikaner kämpfen.

Identitätspolitik. Auch demokratische Stimmen kritisierten nach der Wahl, die Linke habe zu viel Kulturkrieg und zu wenig Klassenkampf betrieben. Aber niemand hat bis jetzt präzisiert, welchen «Kulturkrieg» man hätte weglassen können. Den Kampf gegen Rassismus? Sexismus? Fremdenfeindlichkeit? Transphobie? Soll das Engagement für die Gleichberechtigung aller ausgerechnet jetzt zurückgefahren werden, da die Maga-Gegenseite ihre eigene rechtsextreme Identitätspolitik mit allen Mitteln vorantreibt? Und dabei immer neue Mittel findet, um ungeliebte Minderheiten zu schikanieren und auszuschliessen?

Dass es nicht nur unter den Trump-­Wähler:innen, sondern auch im mutmasslichen Trump-Kabinett etliche Frauen und People of Color gibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier die Vorherrschaft der weissen Männer propagiert wird. Zu Trumps «Great America» gehört nur, wer dies als herrschende Norm akzeptiert. Das hat die 2019 verstorbene afroamerikanische Autorin Toni Morrison schon nach der ersten Trump-Wahl 2016 deutlich gemacht. Nicht zufällig waren es auch 2024 die Schwarzen Amerikanerinnen, die am geschlossensten für Kamala Harris gestimmt haben: Ihnen ist Trumps Version der amerikanischen Identität seit jeher versperrt.

Migration und Inflation. Ein angehender Vizepräsident mit Yale-Abschluss, der vor «Fremdlingen» warnt, die amerikanische Haustiere frässen. Ein Milliardär im Massanzug, der kaum je einen Supermarkt von innen gesehen hat, aber händeringend über den unerschwinglichen Preis von Eiern (vier Dollar pro Dutzend) jammert. Derartige Wahlpropaganda war unfreiwillig komisch – doch sie war ein schlechter Witz.

Denn Wut und Zorn über Migration und Inflation sicherten Trump den knappen Sieg in dieser Protestwahl, in der eine unbefriedigende Sachpolitik durch grossspurige ideologische Versprechen ersetzt wurde. Versprechen, die der neu gewählte Präsident teils schon vor der Amtseinsetzung zurückgenommen hat. Aber katzenmordende Ausländer:innen und teure Lebensmittel waren ideale Feindbilder für die Maga-Bewegung. Denn sowohl Migration wie auch Inflation bringen – auf der ganzen Welt – die Schattenseiten des kapitalistischen, neoliberalen und global vernetzten Polit- und Wirtschaftssystems auf einen einfachen, wenn auch falschen Nenner.

Die Geschichte der USA, seit 400 Jahren ein rastloses Einwanderungsland, zeigt exemplarisch auf, wie Wanderbewegungen zur Bereicherung von Kultur und Gesellschaft führen – aber auch engstirnige und oft gewaltbereite Abwehr auslösen können. Tourist:innen, die die florierenden Chinatowns besuchen, wissen kaum, dass in den USA ab 1882 ein «Gesetz zum Ausschluss der Chinesen» Bestand hatte, das erst 1965 ganz aufgehoben wurde. Sushiliebhaber:innen lassen sich ungern an die Internierung japanischstämmiger US-Bürger:innen während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Die «Great Migration», die grosse Binnenwanderung von Schwarzen US-Amerikaner:innen aus den Südstaaten in die Grossstädte des Nordens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bewirkte nicht nur in Harlem eine kulturelle Renaissance – löste gleichzeitig aber auch eine starke rassistische Gegenreaktion aus. Besonders vehement zeigte sich der Chauvinismus in den USA immer dann, wenn die Menschen sich eh schon bedroht fühlten und ums (finanzielle) Überleben kämpften. So wie in den 1930er Jahren, als die USA Millionen Mexikaner:innen, die Mehrheit Kinder mit US-Bürgerrecht, über die Südgrenze zurückschickten. Nicht nur der verlockende «amerikanische Traum», auch der Ausschluss unerwünschter «anderer» ist seit jeher ein fester Bestandteil der US-Geschichte und -Politik

Die Inflation der letzten Jahre bereitete vielen Menschen in den USA sehr reale und existenzielle Sorgen. Dabei müssten gerade Lebensmittel wie Eier und Milch nicht weniger, sondern mehr kosten, damit sie sozial und ökologisch nachhaltig produziert werden können. Das eigentliche Problem sind nicht die gestiegenen Lebensmittelpreise, sondern die Überteuerung so wichtiger und grosser Budgetposten wie Gesundheit, Wohnen, Kinderbetreuung und Bildung. Solange diese weitgehend unreguliert kapitalistischen Profitinteressen überlassen sind, werden sich die sozialen und ökologischen Krisen weiter verschärfen – in den USA und weltweit. Weder inhumane Massendeportationen, neue Erdölbohrungen noch protektionistische Strafzölle werden die Verelendung aufhalten. Im Gegenteil.

Langfristige linke Reformziele – etwa eine grössere soziale Gerechtigkeit, eine griffigere Klimapolitik oder die Entmilitarisierung der US-Aussenpolitik – sind weitaus schwieriger zu kommunizieren als «America first» und Fremdenhass. Doch mehr denn je braucht die Trump-Opposition jetzt eine hoffnungsvolle, potenziell mehrheitsfähige Vision für die Zukunft.