Im Affekt: Ungezähmt am Abgrund
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Selten gabs so viel Zustimmung für ein Kunstwerk. Fast alle, die im Umfeld des Zürcher Escher-Wyss-Platzes die Nase in die Höhe strecken, staunen – und freuen sich. An der Dachkante eines Hochhauses steht ein Pferd und schaut stadteinwärts, Richtung See. Es sieht so echt aus, dass besorgte Passant:innen zuerst dachten, das Tier sei aus einem Stall ausgebüxt und habe sich aufs Dach des Neubaus über dem Tramdepot Hard verirrt. So spekulierte zumindest der «Blick» auf Hinweis eines «Leserreporters». Kaum angeschraubt, hatte das noble Ross damit schon seine urbane Legende. Manch andere Skulptur kommt selbst nach jahrelangem Herumstehen im öffentlichen Raum nicht zu solchen Ehren.
Ans stoische Pferd des Künstlers Yves Netzhammer können sich auch diejenigen halten, die von akuten Fluchtreflexen erfasst werden, wenn sie die «Kunst und Bau»-Website der Stadt besuchen. Kunst setze belebende Akzente, heisst es dort etwa. Oder: «Welche Kunst soll es sein?» Steife Sätze für eine gute Sache, die übrigens auf einen Stadtratsbeschluss von 1962 zurückgeht. Darin wurde verfügt, dass bei städtischen Bauvorhaben bis zu 1,5 Prozent der Kosten zwingend in Kunst am Bau zu investieren seien. Man darf sich kurz vorstellen, was rechte Politiker:innen heute mit einem solchen Ansinnen veranstalten würden. Zumal längst nicht mehr typisch altbackene Vorstellungen von Kunst am Bau verwirklicht werden: Statt Fassadenmalerei oder Mosaikmuster im Treppenhaus gibt es Lichtinstallationen und sogar ein mobiles Radiostudio.
Netzhammers Pferd ist mit einem Hydraulikzylinder ausgestattet und soll sich in Zukunft aufbäumen können. Das Kameraauge, dessen Livebilder online für alle einsehbar gewesen wären, wurde allerdings nicht bewilligt. Amtsschimmel schlägt Kunstross in der letzten Runde.
Apropos Tiere in luftiger Höhe: Googeln Sie mal «Falkenkamera Josefstrasse innen» oder «aussen». Aber Obacht, tierische Essensreste!