Im Affekt: Null Kompetenz, 100 Prozent Misogynie

«Ich glaube, wir haben gewonnen, um gehört zu werden.» Die spanische Fussballerin Jenni Hermoso sagt diesen Satz gegen Ende des Films «Der Kuss, der den spanischen Fussball veränderte», der auf Netflix zu sehen ist. Regisseurin Joanna Pardos rekonstruiert darin die Ereignisse rund um den Kuss, den der Verbandspräsident Luis Rubiales bei der WM-Siegerinnenehrung 2023 Hermoso gewaltsam auf den Mund drückte.
Anfang Februar beginnt der Prozess wegen sexueller Nötigung gegen Rubiales und drei weitere Mitarbeiter. Man kann hoffen, dass er verurteilt wird. Denn der Film, der aus Gesprächen mit zahlreichen Spielerinnen sowie aus Archivmaterial besteht, zeigt eindeutig: Dieser «Kuss» war der Höhepunkt eines Macht- und Missbrauchssystems, das Rubiales über Jahre aufgebaut hatte.
Mit Jorge Vilda Rodríguez machte er einen Freund zum Trainer, der null Kompetenzen vorzuweisen hatte. Da dieser zugleich auch Sportchef war, hatte er die totale Kontrolle über die Spielerinnen. Laut deren Aussagen besuchte er sie nachts auf dem Zimmer, «um zu reden», ausserdem soll er einer Assistentin an die Brust gefasst haben. Forderungen wie die nach einer eigenen Umkleidekabine bei den Fitnessräumen (die die Spielerinnen nur nutzen konnten, wenn die Männer nicht dort waren) oder dass Flüge nicht so gebucht werden, dass das Team nur wenige Stunden vor dem Anpfiff landet, taten er und Rubiales als Frechheiten ab. Als vor der WM 2023 fünfzehn Fussballerinnen in einem Brief ankündigten, sie würden unter diesem Trainer nicht mehr spielen, wurden sie von der gesamten spanischen Presse als «undankbare Zicken» verurteilt. Wie dieser Brief das Team zerriss und welch unrühmliche Rolle die Presse dabei spielte – auch davon erzählt der Film.
Es wäre zu hoffen, dass dieser Kuss und das, was er losgetreten hat, den Frauenfussball insgesamt verändert, nicht nur den spanischen. Dass Rubiales vor Gericht muss, ist ein Anfang. Dass ausgerechnet der mitangeklagte Vilda nun Trainer des marokkanischen Frauenteams ist, zeigt: Noch bleibt viel zu vieles beim Alten.
US-Ikone Megan Rapinoe forderte angesichts der Zustände im Frauenfussball schon 2021: «Brennt alles nieder. Lasst ihre Köpfe rollen.»