Im Affekt: Das Auge kotzt mit

Es war wieder mal Zeit für die ganz grossen Kanonen. Schon im Titel beklagte der Kollege von der NZZ ein «krudes Menschenbild». Und zählte dann auf, was alles so verwerflich sei an dieser Art des Politisierens: Sie sei «paternalistisch, ökonomisch unvernünftig, juristisch fragwürdig und zutiefst illiberal». Klingt nach dem Trump-Regime? Stimmt, aber falsch geraten.
Der Anlass für den panischen Aufschrei war ein paar Nummern kleiner: eine Stadtzürcher Motion, die Werbeflächen im öffentlichen Raum einschränken und digitale Werbescreens ganz verbieten will. Der Gemeinderat hat das Vorhaben mit 58 zu 57 Stimmen knapp gutgeheissen. Der zuständige SP-Stadtrat war dagegen, muss jetzt aber eine Vorlage ausarbeiten.
Wer etwas mehr über das «krude Menschenbild» wissen wollte, konnte es bei «10 vor 10» kennenlernen, in der Person des Zürcher AL-Gemeinderats Michael Schmid. Der grinste da gechillt in die Kamera und erklärte, die Leute sollten ihre Aufmerksamkeit doch lieber zum Beispiel auf die «schönen Hausfassaden» richten, statt sich von Werbescreens manipulieren zu lassen. Die Zürcher Europaallee kann er nicht gemeint haben: Dort wirken auch die Fassaden krass manipulativ, dabei wollen die nicht mal was verkaufen. Und wenn es dem Herrn Schmid wirklich ernst ist mit seiner Achtsamkeitspredigt: Wieso nicht gleich die Benutzung von Handys im öffentlichen Raum einschränken?
Dabei hat die IG Plakat/Raum/Gesellschaft, die schon lange dafür kämpft, die stetige Ausweitung der Werbeflächen in der Stadt wieder etwas einzudämmen, keine schlechten Argumente. Aber was die verbiesterte Verbotslinke nun wieder so wenig berücksichtigt wie die genauso verbiesterte Marktrechte in ihren Deregulierungsreflexen: Es gibt auch eine Ethik der Ästhetik. Das Problem mit der Werbung im öffentlichen Raum ist doch nicht, dass sie uns zu Überkonsum verleitet oder dass sie umgekehrt vor Verboten geschützt werden müsste. Sondern, dass sie oft einfach so scheusslich ist.
Am schlimmsten ist bekanntlich der Kopfsalat jeweils vor den Wahlen. Wo bleibt das dringende Postulat für grafische Qualitätskontrolle?