Im Affekt: Saufen mit Miraculix

Die Schweiz trocknet aus, und das weit über den «Dry January» hinaus: «Der Weinkonsum bricht ein – Bund spricht von besorgniserregendem Trend», titelte jüngst die «Aargauer Zeitung». Was die Branche beklagt, beklatscht die Wissenschaft. Jedes Gläschen eins zu viel – bläut uns nicht nur das Blaue Kreuz ein, sondern auch eine wachsende Zahl von Studien.
Einer, der auf allen Kanälen dagegenhält, ist Philipp Schwander, «Master of Wine» und seit Jahrzehnten als Lieferant erschwinglicher Qualitätsweine unterwegs. Ein Obelix von Bacchus’ Gnaden sozusagen: mit eigenem Kanal auf Youtube, Kolumne in der «Bilanz» und natürlich einem Newsletter. Im neusten echauffiert er sich einmal mehr über die «gezielte Kampagne gegen den moderaten Alkoholkonsum». Schon klar: Sein Geschäftsmodell ist in Gefahr. Aber Schwander hat auch gute, ja bestechende Argumente; da gleicht er mehr Asterix, zerpflückt er doch die Evidenz von Legionen Daten aus renommierten Publikationen wie etwa «The Lancet». Die Zeitschrift behauptete, ein einziges Glas Wein pro Tag erhöhe das relative Risiko einer Erkrankung (unter anderem an Krebs) um 0,5 Prozent, es treffe also einen Menschen unter 200. Bloss hat das nichts mit dem tatsächlichen Risiko zu tun, erkrankt im Vergleich zu Abstinenten doch lediglich eine Person von 25 000 zusätzlich. Wegen eines täglichen Gläschens Wein krank zu werden, ist laut Schwander also ähnlich wahrscheinlich, wie irgendwann vom Blitz getroffen zu werden. Ein Klacks im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit, sich in der Freizeit zu verletzen, wie Schwander fortfährt – das passiere hierzulande mehr als jeder und jedem zehnten Erwerbstätigen. «Niemandem käme es jedoch in den Sinn, Sport deshalb verbieten zu wollen oder vor einem Fussballfeld eine grosse Warntafel aufzustellen, die vor den Gefahren warnt.»
Dass er sich seine Expertise im Newsletter von einem langjährigen Notfallmediziner mit Public-Health-Ausbildung holt? Stärkt natürlich nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern auch sein Business, ganz nach dem Motto: In vino veritas – quod erat demonstrandum. Da ist Schwander dann ganz Miraculix.
Nüchtern betrachtet: Besagte «Lancet»-Studie wurde schon 2018 in der «Unstatistik des Monats» zerpflückt (www.unstatistik.de).