Repression in Ägypten: An der Mauer des Schweigens

Nr. 23 –

Seit über zehn Jahren sitzt der ägyptische Blogger und Aktivist Alaa Abdel Fattah unrechtmässig in Haft. Seine Mutter kämpft im Hungerstreik für internationale Aufmerksamkeit.

Diesen Artikel hören (5:55)
-15
+15
-15
/
+15
Laila Sueif am 21. Mai vor dem Sitz des britischen Premiers mit einem Foto ihres Sohnes Alaa Abdel Fattah
Mehr als vierzig Prozent des Körpergewichts verloren: Laila Sueif am 21. Mai vor dem Sitz des britischen Premiers. Foto: Mark Kerrison, Getty

Mit zitternden Händen und dunklen Augenringen tritt Sanaa Seif am vergangenen Freitag vor die Kameras. «Es ist ein Wunder, dass sie noch unter uns weilt. Ich bin stolz auf meine Mutter», sagt sie den anwesenden Medienschaffenden, später kursiert ein Video von ihrem Statement in den sozialen Medien.

Seif hatte ihre Mutter Laila Sueif am Donnerstag in ein Spital in London einliefern lassen: Nach mehr als 240 Tagen Hungerstreik hatte die 69-Jährige mehr als vierzig Prozent ihres Körpergewichts verloren, ihr Blutzuckerspiegel und ihr Blutdruck waren gefährlich abgesackt. Nun verweigert Sueif auch im Spital feste Nahrung.

Es ist ihr jüngster und bislang wohl gefährlichster Versuch, die Freilassung ihres Sohnes Alaa Abdel Fattah zu erwirken, des berühmten Bloggers und Aktivisten des Arabischen Frühlings. 3500 Kilometer vom Rest seiner ägyptisch-britischen Dissident:innenfamilie entfernt, sitzt Abdel Fattah in einer ägyptischen Haftanstalt. Und das – mit kurzen Unterbrechungen – seit mehr als einem Jahrzehnt.

Keir Starmers Versprechen

Eigentlich hätte Abdel Fattah bereits entlassen werden müssen. Seine jüngste Strafe wegen der «Verbreitung von Falschnachrichten», zu der er nach dem Teilen eines Posts über Folter in ägyptischen Gefängnissen verurteilt worden war, hat er Ende September abgesessen. Aber die ägyptischen Behörden weigern sich bislang, mehr als zwei Jahre Untersuchungshaft auf Abdel Fattahs Haftzeit anzurechnen, sodass sich seine Entlassung bis 2027 verzögern könnte.

Deswegen war seine Mutter Sueif vor über sieben Monaten in den Hungerstreik getreten, trank fortan nur noch Tee, Kaffee und Elektrolytlösungen. Im Februar wurde Sueif zum ersten Mal in ein Spital eingeliefert, danach nahm sie wieder 300 Kalorien täglich zu sich. Weil keine Bewegung in den Fall ihres Sohnes kam, verzichtet sie seit dem 20. Mai wieder gänzlich auf feste Nahrung. Ihr inhaftierter Sohn, der seit 2021 auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt, befindet sich mittlerweile ebenfalls im Hungerstreik.

Laut dem jüngsten Bericht der Uno-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen von vergangener Woche ist Abdel Fattahs Haft unrechtmässig und verstösst gegen internationales Recht. Im Februar hatte der britische Premierminister Keir Starmer in einem Post auf X angekündigt, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sich für Abdel Fattahs Freilassung einzusetzen. An dieses Versprechen erinnerte nun Abdel Fattahs Schwester in ihrem Statement vor dem Krankenhaus in London.

In Städten wie New York und Berlin organisierten in den vergangenen Tagen Teile der ägyptischen Diaspora Kundgebungen in Solidarität mit Sueif und Abdel Fattah, auch in Ägypten selbst regte sich Protest: So hielt die «Zivil-demokratische Bewegung», ein Bündnis liberaler Parteien, eine Medienkonferenz ab. Zudem forderten Student:in­nen den Rektor der Universität Kairo schriftlich dazu auf, sich bei den Behörden für Laila Sueif starkzumachen, die einst an der Uni studiert und dort später als Mathematikprofessorin unterrichtet hatte.

Und auch ein Statement von 130 Menschen, die in der Vergangenheit wegen ähnlicher, politisch motivierter Verurteilungen in ägyptischen Haftanstalten einsitzen mussten, zirkuliert im Netz. Die ehemaligen Gefangenen rufen die Behörden dazu auf, «Weisheit und die nötige Verantwortung» walten zu lassen und Abdel Fattah freizulassen. Sie schreiben in ihrem Statement: Die Standhaftigkeit Sueifs spiegle diejenige von Hunderten Familien wider, die sich für ihre Lieben einsetzten, aber dabei auf eine «Mauer aus Schweigen» stossen würden.

Die – im repressiven Ägypten untypische – Solidaritätswelle erinnert im Kleinen an die Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich im November 2022. Damals mobilisierte Abdel Fattahs Familie Unterstützung bei westlichen Politiker:innen und machte öffentlichkeitswirksam auf sein Schicksal aufmerksam. Nur wenige Monate zuvor war Abdel Fattahs Buch mit dem kämpferischen Titel «Ihr seid noch nicht besiegt» erschienen – eine Sammlung seiner Texte über die ägyptische Revolution von 2011 und seine Haftzeit. Beides hatte grosse mediale Resonanz ausgelöst. Doch letztlich scheiterte seine Freilassungskampagne an der Unnachgiebigkeit der ägyptischen Behörden.

Begnadigung zum Opferfest?

Auch heute scheint es unwahrscheinlich, dass die Solidaritätswelle Abdel Fattahs Freilassung bewirkt. Selbst ein Appell der westlichen Länder dürfte wenig Wirkung entfalten – würde er doch angesichts des Gazakriegs reichlich unglaubwürdig wirken. Eine solche Kritik dürfte ohnehin leise ausfallen: Die EU baut auf Ägypten als Partner bei der Migrationsabwehr und hat letztes Jahr ein entsprechendes Migrationsabkommen mit der Militärdiktatur unterzeichnet.

Rein zeitlich betrachtet gibt es dennoch Grund zur Hoffnung: Ende dieser Woche beginnt Eid al-Adha, das islamische Opferfest. Für gewöhnlich begnadigt das Regime dann einige seiner Gefangenen. Ob auch Ägyptens Staatsfeind Nummer eins dabei sein wird, bleibt abzuwarten.