Wichtig zu wissen: Dunkle Zeiten, helle Zeiten

Nr. 24 –

Ruedi Widmer über die Funktion des Mittelalters

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«Ihr spuckt, wir schlagen», sagte Trump über die Proteste in Los Angeles. Das hätte David Beckham mit König Charles kaum gemacht, als dieser ihn kürzlich zum Ritter schlug.

«Ritter» klingt schon sehr aus der Zeit gefallen. Muss Beckham nun seinen Sportwagen durch ein Pferd ersetzen?

Kürzlich las ich im «Spiegel», das Mittelalter habe es gar nicht so gegeben, wie ich es in der Schule gelernt hatte. Es wurde erst vor 250 Jahren erfunden und war ein «ideologischer Kampfbegriff», ein bisschen wie der Rütlischwur. Erfunden wurde es von den Aufklärern, die ihren neuen Ideen etwas Negatives gegenüberstellen mussten. Dieses Negative war natürlich schrecklich, die Sonne schien kaum, es war immer «finster». So wurden also tausend Jahre zu einem Zeitalter zusammengefasst. Davor war das Römische Reich, die letzte helle Zeit, zusammengebrochen. Auch das stimmt so nicht – die Römer und Griechen waren nicht einfach von den «Germanen» überrannt worden, die alles anzündeten und den schwarzen Rauch machten, der offenbar bis zu Rousseau und seinen Zeitgenoss:innen am Himmel und über den Schlachtfeldern klebte. Es war, wie immer, alles unendlich viel komplizierter.

So etwas wie «das Mittelalter» könnte gut in unserer ideologisierten Gegenwart erfunden werden. Irgendwie müssen ja auch Musk mit seiner Amerikanerpartei, Putin sowie Dienstverweigerer und Kriegsherr Trump die Zeit vor ihnen schlechtreden. «Genderalter» oder «Frauenalter» wäre ein denkbarer Kampfbegriff, um die für so viele Mannsbilder schreckliche Zeit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit ihrer Verweichlichung und dem Empathiewahn zu bezeichnen – am besten zusammen mit der öden Zeit der Moderne, 1945 bis 1989, mit ihren nur halbbatzigen Kriegen, der Uno, Frieden, der sozialen Marktwirtschaft, der Forschungsfreiheit, der Medienfreiheit, dem Frauenstimmrecht und dem ganzen Wohlfahrtsunsinn. Bald malen KI-Maler für die neokatholischen Kirchen, die Peter Thiel und J. D. Vance bauen lassen werden, grosse Ölgemälde, auf denen sich die Menschen ihre Geschlechter auf der Strasse umoperieren, daneben stehen empört gottesfürchtige weisse Silicon-Valley-Männer, die mit Hellebarden und iPhones den Teufel, der um die Operation herumtanzt, davonzujagen versuchen.

Nochmals zum Mittelalter (ein Gedanke, den mein Sohn kürzlich äusserte):

Seit der Entdeckung von Exoplaneten, auf denen ähnliche Bedingungen herrschen wie auf der Erde, können wir davon ausgehen, dass an gewissen Orten im Weltall Leben existiert. (Dass das höheres Leben als unseres ist, ist sehr wahrscheinlich, denn ein Einzeller ist mittlerweile intelligenter als erschreckend viele mehrzellige Menschen.)

Plötzlich empfangen die Wissenschaftler:innen, die den Himmel rund um die Uhr auf ausserirdische Signale abhorch(t)en (Programm wurde sicher gestrichen), einen Farbfilm. Darauf sieht man Mönche beten, Marktleute, die Getreide feilbieten, spielende Kinder, alles wie durch heisse, flimmernde Luft gefilmt.

Das zu Sehende ist echt. Die Aliens, die uns diesen Film funkten, hatten so gigantische Fernrohre entwickelt, dass sie Details auf der Erde von ihrem Planeten aus aufnehmen konnten. Der Film, der unseren eigenen Exoplaneten im Jahr 1013 n. Chr. zeigt, wurde vor 506 Jahren aufgenommen, und er brauchte wieder 506 Jahre, bis er zu uns gelangte.

Ausserirdische Intelligenz könnte uns helfen, vor den Beginn des fotografischen Zeitalters der Menschheit zu blicken.

Leider können selbst Ausserirdische nicht filmen, was auf uns zukommt.

PS: Starlink möchte in Leuk VS Antennen für seine Satelliten aufstellen (sicher mit dem von Musks Doge erbeuteten Geld der US-Wissenschaft). Die lokale Bevölkerung hat nun aber Angst vor 5G-Strahlen, nicht vor Musk …

Ruedi Widmer hat sein Mittelalter (Hälfte der Lebenszeit) schon länger überschritten.