Wichtig zu wissen : Die Quadratur des Kreuzes

Nr. 44 –

Ruedi Widmer über Kreise, Fahnen und Glaube

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Als Kontrapunkt zur Proeuropädie seines Namensvetters Georg Kreis gründet der ehemalige SVP-Nationalrat Leonhard Kreis die Ueli-Maurer-Bewegung. Diese ausserparlamentarische Gruppierung, die nach dem Altbundesrat, Mentor und Wirtschaftsförderer Ulrich Maurer benannt ist («Lasst die CS in Ruhe arbeiten»), möchte die Meinungsfreiheit durchprügeln und nach Vorbild J. D. Vances keine gegenteiligen Meinungen zur Meinungsfreiheit mehr zulassen.

Maurer gibt sich rechtzeitig zur Metzgete-Saison als beleidigte Blut- und Leberwurst, genauso wie seine Mitmeiner Hans-Georg Maassen (vom abgerissenen Ostflügel der CDU) und SPD-Mann Thilo Sarrazin, die ebenfalls die Schweiz retten wollen. Maurer will in seinem Dritte-Zähne-Alter also noch eine dritte Amtszeit als Ueli Maurer anhängen und eine Art Dritte Schweiz initiieren. Doch keine Angst: Die humonetäre Tradition der Schweiz lebt, und unsere Cheques und Bilanzen lassen keine Zustände wie in den USA zu!

Wenn ich die Fotos von der letztwöchigen «Knebelverträge»-Versammlung der SVP sehe – Dettling mit Hellebarde und Kantonsfahnen und dem Hoheitszeichen unseres Landes, der Schweizer Fahne –, dann kribbelt es in mir, denn: Linke, nehmt der SVP endlich diese Fahnen weg, indem ihr sie selber benutzt. Sie sind wirklich der einzige Trumpf der SVP. Doch die Linke hätte dazu wieder sehr viele inhaltliche Vorbehalte und intellektuelle Bedenken anzubringen, und das ist auch das, was sie manchmal so unattraktiv und kompliziert macht. Man kann durchaus von Leuten wie Trump und Milei lernen, die eigentlich nichts anderes tun als das, was die Linke früher tat: vorpreschen, provozieren, machen.

Die «No Kings»-Bewegung hat das auch bemerkt und nimmt die US-Fahne an ihre Demos mit. Die Rechte hat nur so viel Erfolg, weil sie eine Grenze nach der anderen überschreitet, und das macht die Gegenseite sprachlos. Sprachlosigkeit ist Hilflosigkeit, Hilflosigkeit ist Niederlage. Was spricht gegen die Schweizer Fahne?

Niemand kann beweisen, dass die alten Eidgenossen heute gegen die EU wären. Es könnte genauso gut sein, dass sie sich gegen den Geldadel wie Blocher und Matter stellen würden, die die demokratische Unabhängigkeit des Volkes zu ihren Gunsten aufgeben möchten.

Die Juso operiert möglicherweise viel näher beim Rütlischwur von Werner Stauffacher, Walter Fürst und Arnold von Melchtal, als es der SVP lieb ist, denn auch die Juso möchte sich nichts von einer Oberschicht diktieren lassen. Die demokratischen Ideen der EU sind jenen der Schweiz ähnlicher als die Ideen der SVP, Russlands oder Trumps. Diese Meinung muss endlich diskutiert werden.

Etwas anderes noch. Zur Zeit des Rütlischwurs hiess dieser noch Rütlischwör. Kürzlich stiess ich nämlich auf eine alte deutsche Sprachregel, die heute praktisch vergessen ist. Viele Substantive setzte man ins Präteritum, wenn etwas vorbei war:

Der Erfinder wurde nach einiger Zeit zum Erfander, der Bäcker zum Buker, die Fahrt zur Fuhrt, die Schneiderin zur Schnitterin, der Schieber zum Schober, die Singerin zur Sangerin – die beide später zum Wort «Sängerin» zusammengezogen wurden. Wie auch aus dem Fliess, der im Präteritum Floss hiess, der heutige Fluss wurde.

Es wurde auch ins Präsens oder sogar ins Futur gesetzt. So wurde aus dem Schloss das Schliess oder der Meier zum Mhühner. – Der Zirkus Kimmer wurde zum Zirkus Knie.

Das sind natürlich Witze, denkt man. Ja, es gab möglicherweise nie eine solche «alte deutsche Sprachregel», aber wer kann beweisen, dass das alles nicht stimmen sollte? Es geht um den Glauben. Wer den Glauben beherrscht, wacht auch über die Realität. Warum heisst es übrigens geglaubt und nicht geglobt? Es heisst ja auch gelogen und nicht gelaugt.

Ruedi Widmer analysiert die humoretäre Lage.