Literatur: Aus dem Büro zu den Sternen

Da liegt ein Stein zwischen den Scherben der eingeworfenen Scheibe im Schlafzimmer von Carla Mittmann. Und vor der Wohnungstür? Ein muffiger Karton mit 10 000 Dollar. Klingt das plausibel? Nicht wirklich, aber da hat sie uns mit ihrem Plauderton schon gepackt, die Protagonistin von «Stars», dem ersten Roman von Katja Kullmann. Wir folgen Carla, wie sie erst weiterhin widerwillig zur Arbeit fährt, ihre Stunden in der Möbelfirma absitzt und nachmittags als «Cosmic Charly» für fremde Menschen Horoskope schreibt – ein Überrest ihrer gescheiterten akademischen Karriere als Philosophin. Warum die passive Protagonistin, obwohl sie weder an Horoskope glaubt noch Freude an ihrem Hobby hat, ihren Job kündigt und sich als Astrophilosophin neu erfindet? Das ist nicht der einzige Zusammenhang, der ungeklärt bleibt.
Trotzdem bleibt man dran, will wissen, wo die 10 000 Dollar herkommen. Und wartet 250 Seiten lang auf die Wendung. Für ihre einfachen Ratschläge knöpft Carla reichen Menschen viel Geld ab, sie müht sich mit Social Media ab, wird immer bekannter, und ihr Privatleben verstrickt sich mehr und mehr mit dem ihrer Kund:innen. Auch für sie, das merkt sie bald, halten die Sterne einige Wahrheiten bereit. Als Carla das Geld schon fast vergessen hat, kommt die Wendung doch noch, auf den allerletzten Seiten, völlig unerwartet – und sie hat, so viel sei verraten, gar nichts mit dem Geld zu tun.
«Stars» ist faszinierend wie ein Horoskop. Die Geschichte ist auf den ersten Blick einfach und geht doch die ganz grossen Themen an. Deshalb ist für viele etwas drin. Nicht so passgenau wie im letztem Buch der Journalistin und Autorin, dem präzis beobachtenden und sehr lesenswerten Essay «Die singuläre Frau». Dafür leichter und unterhaltsamer. Und etwas unterscheidet Kullmanns Roman, zum Glück, dann doch vom Horoskop. Er sucht gerade nicht die einfachen Antworten, sondern stellt sie auf der letzten Seite noch einmal infrage.
Lesung in: Zürich, Kaufleuten, So, 24. August 2025, 20 Uhr.