Im Affekt: Eine Grazie im Gym

Nr. 29 –

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Muckibuben mit Muninacken: Sogar die «NZZ am Sonntag» hat sie entdeckt, fragt fassungslos, was wohl hinter dieser «neuen Lust an der Disziplin» steckt, mit der junge Männer ihren Körper «stählen für eine zunehmend unberechenbare Welt». Wobei die Recherche dann ergibt: Sie tun es vor allem für sich selbst. Essen (absurde Mengen offenbar, wie sonst kommt man auf über 4000 Kalorien täglich?), pumpen, schlafen.

Ob sie deshalb immer so freudlos wirken im Fitnesszentrum – Pardon: Gym –, auch wenn sie grad nicht dabei sind, Hanteln zu stemmen?

Unsereins (weiblich und deutlich älter) frequentiert solche Lokalitäten ja oft weniger aus Lust denn als «must», im ärztlich indizierten Kampf gegen den Muskelabbau (gegen den Schwabbelbauch gibts ja jetzt Spritzen, wozu also noch schwitzen?). Wer, wenn nicht wir, hätte da also ein Vorrecht zum Granteln?

Jetzt aber: Überraschung! Sie ist deutlich jenseits des Pensionsalters und in apartem Schwarz gekleidet, trägt Schminke und Schmuck, meist kreuzen sich unsere Wege im Kreis jener Geräte, an denen man in koordinierter Abfolge alle wichtigen Muskelpartien im Sitzen durchtrainiert. Mit roten Lippen lächelt sie aufmunternd in die Runde, ihre Bewegungen sind rhythmisch, das Gerät gibt am Bildschirm schliesslich den Takt in Kurven vor – allein, sie ignoriert den Takt, folgt ihrem eigenen und trainiert ganz «freestyle», was schert sie die falsche Leistungsbilanz in der Anzeige am Schluss.

Und diese Grazie, mit der sie dabei den zerknitterten Plastiksack eines Bücherladens am Unterarm hängen hat! Im Sack verschwinden die Kabel ihrer Kopfhörer. Aber aus ihm entweicht, ganz diskret, ein Hauch nur von erkaltetem Rauch.

Und ich stelle mir vor: Wie sie danach an einem Bistrotischchen sitzt, sich eine Select anzündet und an einem Glas Weisswein nippt. Selber schuld, wer sich stattdessen einen Proteindrink hinter die Binde kippt.

Und ja, auch sie tut es nur für sich.